Geliebter Feind
mir."
Sie holte tief Luft, und das hörte sich an wie ein Schluchzen.
Es zerriß Hugh beinahe das Herz. Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob sich ihr Gesicht entgegen. Bei der Berührung zuckte sie zwar zusammen, doch sie zog den Kopf nicht fort.
Am liebsten hätte Hugh sie sich an die Brust gedrückt; das wagte er jedoch noch nicht. Statt dessen nahm er ihre Hände in seine und zog Elizabeth zur Fensterbank. „Sagt mir, was Euch bedrückt", bat er. „Ich werde mich bemühen, es zu richten, das verspreche ich."
Bekümmert schalt sich Elizabeth wegen ihres törichten Herzens. Zweifellos dachte Sir Hugh nun, sie sei weichlich und be-säße kein Rückgrat. Onkel Richard hatte das ja auch immer gesagt. „Wenn Ihr das nur könntet. . . "
Hugh wäre nichts lieber gewesen, als die gute, sanfte Elizabeth vor allem und jedem Bösen zu beschützen. Im Augenblick war sie indessen nicht furchtsam, sondern traurig.
„Mich deucht, ich weiß, was Euch bekümmert. Es ist wegen Kathryn, nicht wahr?"
Sofort begannen ihre Lippen zu zittern, und das war ihm Antwort genug.
„Fehlt sie Euch so sehr?" fragte er sanft.
Elizabeth nickte und schaute ihn dann an. „Ich weiß ja, ich bin eine erwachsene Frau", flüsterte sie, „doch es ist so furchtbar einsam ohne Kathryn. Ich habe niemanden, mit dem ich reden könnte . . . "
„Ihr kränkt mich zutiefst, Herrin." Hugh spielte den ungeheuer Beleidigten. „Schließlich stehe ich Euch jederzeit zur Verfügung, sei es fürs Reden, fürs Schreiben oder fürs Schimpfen." Und für alles andere auch, setzte er im stillen hinzu, und dann hätte er am liebsten vor Freude laut gejubelt, als er Elizabeths Lächeln sah. Leider jedoch verschwand es viel zu schnell wieder.
„Ihr seid sehr gütig, Sir Hugh", sagte sie langsam und senkte den Blick auf ihre zusammengelegten Hände. „Doch ich verdiene Euren Trost nicht", gestand sie leise und stockend, „denn ich habe schwer gesündigt."
„Ihr? Das ist doch nicht möglich!"
Sie schämte sich furchtbar. „Doch. Ich. . . ich habe Euren Herrn belogen."
„Falls Ihr das getan habt, dann doch sicherlich aus einem guten Grund."
„Für eine Sünde gibt es niemals einen guten Grund", entgegnete sie. „Ich habe mich der Eigennützigkeit und der Habgier schuldig gemacht, Sir Hugh."
Er runzelte die Stirn. „Wie das?"
„Kathryn ist nicht schwanger, Sir Hugh. Das habe ich nur gesagt, damit Euer Herr sie nicht von Ashbury fortbrachte. Ich ha-be gespielt und verloren. Jetzt hat er Kathryn, und ich befürchte, sie wird den Preis für meine Lüge zahlen müssen." Zwei Trä-
nen rollten ihr über die Wangen.
Hugh war sehr versucht, sich auf die Schenkel zu schlagen und laut zu lachen. Weil er jedoch sah, wie unglücklich Elizabeth war, fühlte er sich verpflichtet, sie so gut es ging zu beruhigen. Zunächst einmal wischte er ihr die Tränen mit dem Daumen fort und widerstand dem Impuls, seine Hände an ihrem Gesicht verweilen zu lassen.
„Sorgt Euch nicht so sehr", bat er. „Ich weiß, Ihr und Eure Schwester habt noch keinen Anlaß, es zu glauben, doch Guy ist wirklich nicht herzlos."
Ihr Gesichtsausdruck blieb bekümmert. „Ihr kennt Kathryn nicht. Ich befürchte, Euer Herr wird das Gute an ihr nicht entdecken, denn sie ist ja so furchtbar starrsinnig und aufbrausend und manchmal von so freimütiger, ungezügelter Rede . . . "
Ebensogut hätte das Mädchen meinen Herrn beschreiben können, dachte Hugh. Er vermutete, daß Kathryn und Guy dar-
über hinaus auch mehr Stolz besaßen, als gut für sie war.
„Daran können wir im Augenblick nichts ändern", sagte er lächelnd. „Doch bekümmert Euch nicht gar so sehr. Es ist nicht so schlimm, wie Ihr glauben mögt." Ein Licht leuchtete in seinen Augen auf. „Es würde mich ungemein erfreuen, wenn Ihr mich morgen zu einem Spaziergang an der Seeluft begleiten könntet."
Sie wandte den Blick ab, und Hugh spürte, daß sie ablehnen würde. Wieder legte er die Finger unter ihr Kinn und drehte ihren Kopf zu sich zurück. „Bitte, Elizabeth", sagte er ernst. „Es würde mich sehr schmerzen, solltet Ihr mich abweisen."
Klopfenden Herzens blickte sie ihm tief in die Augen und erkannte dort Kraft, Mitgefühl und Güte - oder sah sie nur, was sie sehen wollte? Sie hatte Angst davor, ihrem eigenen Urteil zu vertrauen, und Angst davor, ihm zu mißtrauen.
„Ich weise Euch nicht ab, Sir Hugh", hauchte sie.
Hughs Herz jubilierte. Er sehnte sich danach, diese zitternden Lippen, zart wie
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