Geliebter Feind
eine Rosenknospe, an seinen zu fühlen, doch er versagte es sich noch. Bald, versprach er sich selbst, sehr bald. . .
6. KAPITEL
Spät am nächsten Abend bekam Kathryn Sedgewick zum erstenmal zu Gesicht.
Sie blieb ein wenig hinter Guy de Marche zurück, während sich die beiden Pferde ihren Weg einen sanften Abhang hinauf suchten. Oben angekommen, zügelte der Earl seinen mächtigen Hengst, saß ab und schaute in das kleine Tal hinunter, das vor ihnen lag.
Kathryn hielt ihren Zelter ebenfalls an, blieb jedoch im Sattel sitzen. Sie drückte sich die Hand ins Kreuz und massierte sich die schmerzenden Muskeln.
Der Himmel war wolkenlos. Das Zwielicht kündigte sich schon mit rosigem Schein am Horizont an. Wie ein endloser grü-
ner und goldener Fleckenteppich dehnten sich unten zahllose Felder nach Norden und Osten aus. In der Nähe schmiegten sich Dutzende robuster Hütten in die Flanke eines Berghügels.
Die gewaltige Festung auf dem Gipfel des Hügels zog Kathryns Blick auf sich. Scharf hob sich die Silhouette gegen den Himmel ab, und die hohen Kalksteinmauern glitzerten weiß in der Nachmittagssonne. Vier runde Wehrtürme befanden sich an den Ecken. Ein breiter Graben schützte die Torseite. Diese Burg war mindestens dreimal so groß wie Ashbury.
„Vor Euch seht Ihr Sedgewick", erklärte Guy de Marche mit erkennbarem Stolz.
Ein schweres Gewicht schien sich auf ihre Brust zu senken.
Die Festung samt der sie umgebenden Landschaft stellte tatsächlich einen atemberaubenden Anblick dar. Manche Menschen werden dies hier sicherlich für einen wahrhaft paradiesi-schen Ort halten, dachte Kathryn, für mich hingegen ist Sedgewick ein Gefängnis . . .
Der Earl saß wieder auf. „Laßt uns weiterreiten. Ich bin ungeduldig, endlich heimzukommen."
Das glaubte Kathryn ihm aufs Wort, denn er gab seinem Hengst die Sporen, und Pferd samt Reiter flogen förmlich den Abhang hinunter ins Tal. Zu Kathryns Ärger folgte Esmeralda dem Hengst im selben halsbrecherischen Tempo, ohne von ihrer Reiterin dazu aufgefordert worden zu sein.
Erst kurz vor der Burg zügelte Guy de Marche sein Roß. Kathryn lenkte Esmeralda an seine Seite. Zusammen überquerten sie die Zugbrücke und ritten in den dunklen Torweg ein. Kathryns Muskeln spannten sich mit jedem Schritt mehr an, und sie schreckte heftig zusammen, als das eiserne Fallgatter hinter ihnen zu Boden fuhr. Jetzt war sie endgültig und unentrinnbar gefangen.
Eine gackernde Henne floh über den staubigen Burghof; ein langbeiniger Hund schnappte nach ihren Schwanzfedern. Die Geräusche, die Kathryn an die Ohren drangen, waren ihr nicht fremd. Sie hörte die Stimmen der Tiere in ihren Verschlagen und Ställen, das Klingen des Schmiedehammers, den Schrei der Jagdfalken in den Käfigen. Fremd war es ihr hingegen, so offen angestarrt zu werden.
Ein Pferdeknecht sah sie und den Earl als erster und rannte sogleich herbei, um dessen Roß beim Halfter festzuhalten.
„Herr!" Mit leuchtenden Augen schaute er zu Guy de Marche auf. „Wie gut, daß Ihr wieder zurück seid."
Guy sprach den Jungen beim Namen an. „Ja, John, es ist gut, wieder daheim zu sein." Er saß ab, warf dem Knecht die Zügel zu, wandte sich dann zu Kathryn um und reichte ihr die Hand entgegen.
Unter dem kalten Blick dieser silbergrauen Augen erstarrte sie. Am liebsten hätte sie ja die Hand zur Seite geschlagen, doch die Augen drohten ihr jetzt schon Strafe an, sollte sie das wagen.
Kathryn preßte die Lippen aufeinander. Sie legte die Fingerspitzen leicht auf die Schulter des Earls, ertrug seine Hände an ihrer Taille und gestattete ihm, sie zu Boden zu heben.
Er ließ sie sofort wieder los, als könnte er die Berührung mit ihr keinen Augenblick länger ertragen. Kathryn ging es ebenso.
Zu ihrer Bestürzung jedoch legte er im nächsten Moment seine Finger an ihren Ellbogen. So führte er sie über den Burghof und dann die Treppe hinauf in die große Halle.
Im Saal herrschte eifrige Betriebsamkeit. Mehrere Ritter eilten herzu, um ihren Herrn zu begrüßen. Einer von ihnen, ein großer, vierschrötiger Mann mit rotgoldenem Bart, lachte und schlug ihm kräftig auf die Schulter. „Mann Gottes, Ihr habt Euch mit dem Heimfinden reichlich viel Zeit gelassen! Wir dachten schon, Ihr hättet Euch unterwegs verirrt." Der Ritter lachte laut.
Guys Lächeln fiel eher gequält aus.
Der Mann warf einen anerkennenden Blick in Kathryns Richtung. „Und wer mag wohl diese bezaubernde junge Dame sein?"
Kathryn fragte sich
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