Geliebter Feind
sanft, Lady Kathryn? So demütig? So bescheiden? Ihr überrascht mich. Ich hatte gedacht, Ihr würdet inzwischen meinen ganzen Haushalt in Unruhe gebracht haben."
Als sie die stählerne, und dennoch samtweiche Stimme hörte, stellten sich ihr die Nackenhaare auf. „Ihr kennt mich eben nicht", erklärte sie, ohne den Earl anzusehen.
„Sehr richtig", gab er spöttisch zu. „Vielleicht sollten wir an dieser Situation etwas ändern."
„Nein", lehnte sie kurz und knapp ab.
„Wie schnell Ihr doch vergeßt, Lady Kathryn! Mein Wille geht vor, nicht wahr?" Im nächsten Moment hob er sie von dem hohen Fenstersitz und stellte sie vor sich auf den Boden. Als nächstes inspizierte er sie von dem glänzenden schwarzen Haar unter der Haube bis zu der oft geflickten Naht an der Schulter ihres wollenen Gewandes.
„Nun ja, es geht so", meinte er dann und faßte sie beim Ellbogen.
Sie entwand sich ihm. „Wofür geht was?" fragte sie ärgerlich.
„Und wohin wollt Ihr mich bringen?"
Er seufzte, als hätte er ein ungezogenes Kind vor sich. „Beruhigt Euch, Kathryn. Ich will Euch nur zu Tisch führen."
Sie wich ihm aus, als er sie wieder beim Ellbogen fassen wollte. Guy ließ sie gewähren, obwohl es ihm schwerfiel. Dieses Mädchen besaß Stolz im Überfluß, und er mußte sich eingestehen, daß ihn das sowohl reizte als auch ärgerte.
In der großen Halle liefen Diener und Mägde hin und her, holten immer neue Speisen aus den Küchen und räumten leere Platten von den Tischen. Guy führte Kathryn zum Herrentisch und rückte ihr den Sessel zurecht. Verstohlen ließ sie den Blick schweifen und sah zu ihrer Erleichterung, daß sich niemand übermäßig für sie oder den Earl interessierte. Als sie freilich letzteren anschaute, stellte sie zu ihrem Mißbehagen fest, daß er nur sie beobachtete.
Er hob eine Augenbraue. „Ich hoffe, Euer Gemach stellt Euch zufrieden."
Natürlich fand sie das Gemach mehr als bloß zufriedenstel-lend, doch das wollte sie nicht zugeben. „Durchaus", antwortete sie nur.
Während Guys Knappe die beiden bediente, schwiegen sie.
Der Junge trug einen Schmortopf auf, bei dem Kathryn das Wasser im Mund zusammenlief. Ferner brachte er Lamm-und Spanferkelbraten sowie Obst und süße Honigküchlein. Leider konnte Kathryn nicht viel essen, denn ihr Magen fühlte sich an, als hätte er sich zusammengezogen. Richtig denken und sich entspannen konnte sie ebenfalls nicht in so unmittelbarer Nähe des Earls.
Mit dem Weinkelch in der Hand blickte er sie finster an. „Entsprechen die Speisen nicht Eurem Geschmack, Madam?"
„Sie sind ausgezeichnet."
„Dann eßt auch. Ich will Euch herausfüttern - Euch und Euer Kind."
Euer Kind! Kathryn hatte ganz vergessen, daß er ja an ihre Schwangerschaft glaubte. „Ich muß vorsichtig sein", erklärte sie leise. „Andernfalls vermag meine Stute mein Gewicht nicht mehr heimzutragen."
„Ihr wollt uns so bald wieder verlassen? Madam, Ihr kränkt mich tief."
„Herrgott, ich wünschte, ich wäre gar nicht erst hergekommen!" stieß sie hervor.
„Ihr seid nun einmal hier, und deshalb muß ich darauf bestehen, daß Ihr uns mit Eurer Anwesenheit beehrt." Er setzte den Kelch an die Lippen, und über den Rand hinweg leuchtete die Genugtuung aus seinen Augen.
Die Wut durchflutete Kathryn. Dieser Mensch war so selbst-gefällig und seiner Rolle als Herr und Meister so widerwärtig sicher! Kathryn hätte ihm am liebsten einen Stoß vor die Brust verpaßt und ihn mitsamt seinem Sessel umgeworfen. Oh, wenn sie es doch nur wagte!
Völlig unbeeindruckt setzte Guy de Marche unterdessen seine Mahlzeit fort.
In Kathryns Kopf hakte etwas aus. Sie sprang einfach auf, drehte sich um und verließ den Herrentisch. Der Earl folgte ihr sofort. Sie hörte seine Schritte hinter sich und ging schneller; fliehen wie ein gejagtes Tier wollte sie indessen auch wieder nicht.
In dem dunklen Korridor, der zu ihrem Gemach führte, ver-trat er ihr den Weg. „Ich hatte Euch nicht erlaubt, Euch vom Tisch zu entfernen, Kathryn."
„Ach, schweigt doch!" rief sie. „An Eurer Gesellschaft liegt mir ebensowenig wie Euch an meiner."
„Ist das so?" fragte er spöttisch lächelnd. „Da bin ich gar nicht einmal so sicher, Madam." Sein Blick lief kühn an ihrem Körper hinab, wobei er auf ihren Brüsten, ihrem Bauch und ihren Hüften verweilte. Das war eine Unverschämtheit, die kein anderer Mann gewagt hätte.
„Stellt doch Euer Lügenspiel ein, edler Herr! Ich weiß genau, weshalb Ihr mich
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