Geliebter Feind
einem Bach, welcher sich zwischen den Bäumen entlangschlängelte. „Siehst du den Bach dort? Wir könnten uns einige Speisen mitnehmen und neben dem Wasser essen. Und beim Wandern könnten wir so tun, als wären wir zwei tapfere Ritter auf dem Weg zu einem feuer-speienden Drachen, den es zu erschlagen gilt."
„Drachen!" rief er begeistert und klatschte in die Hände.
Kathryn mußte lächeln. In ihrer eigenen Phantasie besaß der feuerspeiende Drache rabenschwarzes Haar und Augen, die wie Silber glühten.
Gerda, die sich ebenfalls im Gemach befand, trat rasch herzu.
„Ich begleite Euch, Lady Kathryn. Soll ich die Köchin um etwas Käse und einen Laib Brot bitten?"
Kathryn stellte Peter auf den Boden und blickte das Mädchen prüfend an. „Der kleine Herr und ich kommen allein zurecht.
Du brauchst nicht mitzukommen."
„Wenn es Euch nicht stört, Herrin ...dann ... dann werde ich doch mitkommen", sagte Gerda unsicher.
Es lag Kathryn auf der Zunge zu sagen, daß es sie sehr wohl störte. Sie vermutete allerdings, daß Gerda nur tat, was ihr befohlen worden war. Zweifellos hatte der Earl ihr gesagt, daß Kathryn niemals allein die Burg verlassen durfte.
„Sehr wohl", meinte sie. „Dann hole also jetzt etwas zum Essen aus der Küche. Peter und ich erwarten dich in der Halle."
Gerda eilte aus dem Gemach, und Kathryn ärgerte sich. Verdammt soll Guy de Marche sein! fluchte sie leise. Ohne daß er überhaupt anwesend war, schaffte er es, daß sie sich wieder einmal miserabel fühlte.
Ihre Stimmung hob sich, sobald sie die Burgmauern hinter sich gelassen hatte. Sie lachte über Peter, der den schmalen Pfad entlangmarschierte und dabei ein Stöckchen schwang, als wäre es ein großmächtiges Schwert.
An einer Stelle, wo sich die Äste ausladender Eichen über den flachen Bach neigten, beschloß sie anzuhalten. Gerda breitete eine Decke auf dem Boden aus. Sie setzten sich darauf und begannen zu essen. Peter saß zwischen den beiden Frauen. Den Mund voller Käse, grinste er zu Kathryn hinauf. Seine strahlenden Augen faszinierten sie immer wieder. Von beneidenswert langen und dichten schwarzen Wimpern umrahmt, leuchteten sie wie Saphire.
Als er zum Bach lief, schüttelte sie den Kopf. „Noch niemals habe ich so schöne Augen gesehen", meinte sie sinnend. „Waren die seiner Mutter auch so unglaublich blau?"
„Lady Elaine . . . Ja, Herrin", antwortete Gerda leise. „Der Knabe hat die Augen seiner Mutter."
Kathryn wollte mit einmal unbedingt alles über die Frau erfahren, die die Gattin des Earls gewesen war. „Gerda." Sie zupfte an einem Faden, der aus der Decke hing. „Kanntest du die Lady Elaine? Du mußt noch recht jung gewesen sein, als sie hier die Herrin war. . . " Kathryn sprach nicht, weiter. Ihre eigene Frage war ihr unbehaglich.
Gerda schwieg lange. „Ich kannte sie", antwortete sie schließlich, und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Ich war die letzte, die sie lebend gesehen hat."
Kathryn erinnerte sich wieder an das, was Guy de Marche an jenem Abend im Gemach ihres Onkels gesagt hatte: „Nur durch Gottes Gnade konnte die Kammermagd meiner Gattin mit meinem Sohn fliehen. . . "
Die Kammermagd, die mit Peter hatte fliehen können, war also Gerda gewesen! Gerda hatte Richards Überfall miterlebt!
Das versetzte Kathryn einen Stich ins Herz, und sie wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte.
„Gerda", sagte sie leise, „ich entschuldige mich nicht für mich selbst, doch ich empfinde es als eine Schande, mit einem Menschen wie Richard of Ashbury verwandt zu sein, und ich trauere nicht um seinen Tod. Würdest du mir von Elaine erzählen, Gerda? Ich weiß, diese Bitte erscheint dir seltsam, doch ich möchte wirklich gern wissen, wie deine Herrin war."
Die junge Magd blickte Kathryn direkt in die Augen. „Wenn es Euer Wunsch ist", erwiderte sie langsam, „dann will ich es Euch erzählen." Sie zog ihr krankes Bein heran und breitete den Rock über ihre Knie, bevor sie zu reden begann.
„Lady Elaine war sehr zart und zerbrechlich. Als ich sie zum erstenmal sah, hielt ich sie für einen Engel, den der Himmel auf die Erde herabgesandt hatte. Ihr Haar war so hell wie . . . wie Mondstrahlen."
Unwillkürlich strich sich Kathryn über ihr eigenes schwarzes Haar, doch schon sprach Gerda weiter.
„Ich kannte keine Herrin, die so sanft, so gütig und so freundlich war wie die Lady Elaine. Sie hat mich meinem Vater fortge-nommen und mich auf die Burg gebracht, so daß er mich nicht
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