Geliebter Feind
erobern. Und so reiste Heinrich II. nun ab, seinem nächsten Regierungsgeschäft entgegen.
Bitterer Unmut legte sich über Kathryn. Heinrich durfte gehen, wann immer und wohin es ihm beliebte - nicht, weil er der König, sondern weil er ein Mann war. Welche Ungerechtigkeit!
Selbst dem niedersten Leibeigenen blieben mehr Möglichkeiten offen als ihr, denn wenn er es wollte, konnte er sein Lebenslos ändern. Er konnte es schaffen, sich seine Freiheit von seinem Herrn zu erkaufen. Er konnte auch fliehen und auf diese Weise frei sein, oder er konnte sich der Kirche anschließen. . . wie auch immer, ihm war es möglich, die Freiheit zu erreichen.
Ihr jedoch, so wie auch allen anderen Frauen, war dies nicht möglich. Sie mußte sich dem Willen des Mannes unterordnen, der über ihr Leben bestimmte, sei es nun ihr Vater, ihr Gemahl, ihr Herr oder ihr König. Von der Wiege bis zur Bahre ...
Wie lange sie mit ihren entmutigenden Gedanken schon so dagestanden hatte, hätte sie nicht sagen können. Ein heftiger Wind zerrte an ihrem Haar und an ihren Röcken, schaffte es jedoch nicht, ihren Trübsinn fortzublasen. Die Sonne stand schon tief im Westen, als Kathryn endlich die Treppe vom Wehrgang hinunterstieg.
Sie war schon fast unten angekommen, als sie männliches Lachen vernahm.
„Sie hat immer so überheblich auf uns herabgesehen, sogar auf ihren Onkel."
„Also, daß sie nicht so war wie ihre Schwester, das scheue Mäuslein, das ist mal klar."
Kathryn erstarrte. Bei den Männern handelte es sich zweifellos um einige von Richards Kriegern, und sie redeten über die Nichte ihres verblichenen Herrn.
„Ich kann es diesem de Marche nicht verübeln, daß er so ein feines Küchlein für sich haben will. Er hat ja auch ziemlich schnell in ihren Honigtopf gelangt!" Lüsternes Lachen folgte dieser Feststellung.
„Ja, er hat sie ganz schön zurückgestutzt, als er sie zu seiner Hure machte. Mit dem Bastard in ihrem Bauch ist sie jetzt nicht mehr so hochmütig."
Albs Blut wich aus Kathryns Gesicht. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zum Atmen zu bekommen.
Bis jetzt hatte sie nur selten einen Gedanken an das Ungeborene verschwendet. Abgesehen davon, daß es sich in ihr bewegte, erschien es ihr doch irgendwie unwirklich, doch jetzt, in diesem Augenblick, wurde es beinahe bedeutender als sie selbst.
Man nannte ihr Kind einen Bastard! Kathryn konnte das Wort nicht aussprechen, ja nicht einmal denken. Wie ein heller Blut-fleck breitete sich der Schmerz in ihrer Seele aus.
Später beim Nachtmahl saß Kathryn an Elizabeths Seite. Blaß und in sich gekehrt, sprach sie wenig und aß noch weniger. Wie gewöhnlich, herrschte brodelnde Betriebsamkeit in der großen Halle. Ritter, Krieger, Knappen, Knechte und Mägde liefen geschäftig hin und her.
Guy de Marche traf erst verspätet ein, was Kathryn allerdings kaum auffiel. Ihr eigenes Elend machte sie beinahe blind und taub für ihre Umgebung.
Der letzte Speisengang wurde aufgetragen, und dann war das Mahl beendet. Der Earl erhob sich von seinem Platz auf der Empore und befahl Ruhe im Saal.
Das rüpelhafte Stimmengewirr sowie das übermütige Lachen verstummte, und schließlich war es beinahe unheimlich still in dem großen Raum. Erst jetzt erwachte Kathryn aus ihrer tiefen Geistesabwesenheit. Fast jedermann blickte auf den Earl, der jetzt von der Empore hinunter zur Mitte der großen Halle schritt und mit erhobener Hand Aufmerksamkeit gebot.
„Ich werde nur einen Moment Eurer Zeit beanspruchen. Ich werde mich kurz fassen, und dann mögt Ihr den Abend weiter nach Eurem Belieben verbringen."
Er lächelte ein wenig und schaute um sich. „Seit Ihr mir vor vielen Monaten den Treueeid leistetet, habe ich viel von Euch verlangt. Zu meiner großen Freude hat mich niemand von Euch enttäuscht. Heute muß ich nicht nur erneut Eure Loyalität verlangen, sondern Euch auch bitten, meinem Urteil und meiner Entscheidung zu vertrauen."
„Unter uns befindet sich ein Mann, den Ihr inzwischen gut kennt", fuhr er fort. „Ich rede von Sir Hugh Bainbridge. Sir Hugh hat mir schon als Knabe gedient. Noch besser hat er mir als Ritter gedient, und zudem betrachte ich ihn als meinen guten Freund."
Kathryn fröstelte es. Sie hatte die unbestimmte Ahnung, daß sie gleich ein schreckliches Schauspiel zu sehen bekam.
„Deshalb bin ich zu der Ansicht gelangt, es sei an der Zeit, daß ich so viel Loyalität und Treue belohne", sprach der Earl weiter und richtete dann den Blick quer durch den Saal
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