Geliebter Schuft
lesen. Öffne den nächsten, Prue.«
Prudence nahm den Umschlag und schlitzte ihn auf, dann zog sie den Briefbogen heraus und entfaltete ihn. »Ach, seht doch. Unser erster Finderlohn. Sie hielt eine runzelige Banknote hoch, die dem Brief beigelegt worden war.
»Wieder ein Kontakt-Brief?« Chastity lugte ihrer Schwester über die Schulter.
»Ja, von einem Gentleman, der lieber anonym bleiben möchte. Er sucht eine junge Dame aus guter Familie, die aber nicht unbedingt Erbin ... oder gar schön sein müsse.« Sie blickte auf und zog fragend die Brauen hoch.
»Interessant. Warum möchte er sie dann?«, fragte Constance.
»Für eine Ehe, natürlich.«
»Was stimmt dann nicht mit ihm?«
»Wie zynisch, Con«, schalt Chastity sie. »Warum sollte er nicht einfach eine verwandte Seele suchen, ohne Wert auf Geld oder Äußerlichkeiten zu legen?«
»Ja, warum nicht. Aber dann wäre er ein sehr ungewöhnlicher Mann.«
Prudence brachte ihre Schwester mit einer ungeduldigen Handbewegung zum Schweigen. »Er ist Junggeselle, einigermaßen vermögend und schätzt das Leben in der Stadt nicht. Daher sucht er eine ruhige junge Dame mit Neigung zum Landleben.«
»Und er will anonym bleiben?« Constance überlegte. »Ich würde nur ungern eine arglose junge Frau an jemanden vermitteln, den wir nicht persönlich in Augenschein nehmen können.«
»Dann schlagen wir eben ein Treffen vor. Beispielsweise auf dem Postamt von Jenkins' Schwester. Sich dort zu treffen wäre sogar sehr sinnvoll. Wir treten verschleiert auf, nur für den Fall, dass er uns zufällig kennen sollte«, schlug Prudence vor.
»Ich denke, nur eine von uns sollte hingehen«, sagte Constance. »Und zwar Chastity. Dank ihrer Menschenkenntnis würde sie sofort merken, wenn mit ihm etwas nicht stimmt.«
»Ich denke, ihr zwei solltet ungesehen dabei sein«, sagte Chastity. »Ich würde mich sicherer fühlen.«
»Ja, natürlich«, stimmte Constance sofort zu. »Wir verabreden uns ... ach, das wäre erst nach dem Wochenende möglich. Sagen wir, Mittwoch morgens. Wir schaffen den Termin leicht vor dem Besuchsnachmittag. Amelia Westcott müssen wir morgen treffen, da es ihr freier Nachmittag ist und wir nicht noch eine Woche warten wollen, und freitags fahren wir aufs Land.«
Ihre Schwestern nickten zustimmend, und Chastity öffnete den dritten Umschlag. »Für Tante Mabel«, sagte sie auflachend. »Ach, der Verfasserin gefiel die Antwort, die ich der Frau zwischen zwei Liebhabern gab. Diesen Brief müssen wir veröffentlichen. Hört zu ...« Im Ton überschwänglicher Lobhudelei fuhr sie fort: »>Eine so intelligente und einfühlsame Antwort. So klug und gescheit ...<« Sie blickte auf. »Und ich dachte, das wäre dasselbe.«
»Ist es auch«, sagte Constance. »Lies weiter.«
»Nun, sie schreibt, sie hätte ein ähnliches Problem, und wäre sicher nicht in diese Situation geraten, wenn jemand ihr einen so guten Rat hätte geben können.«
»Und wie ist ihre Situation?«
»Sie hat den Falschen erwischt«, sagte Chastity kurz und bündig. »Ich schreibe eine Antwort, die wir unter diesem Brief platzieren.«
»Hier ist noch etwas für Tante Mabel.« Constance schwenkte den vierten Brief. »Eine verheiratete Frau hat große Probleme mit ihrer Schwiegermutter, die ihr jeden Schritt vorschreibt, ihren Sohn finanziell kurz hält und nun droht, vom Witwensitz nach London zu ziehen, da die Schwiegertochter den Haushalt angeblich nicht zufrieden stellend führen kann.«
»Eine Unterschrift?«
Constance schüttelte den Kopf. »Hier steht nur Verzweifelt in Knightsbridge<.«
»Nun, ich kenne mehrere Damen, auf die das zutreffen könnte«, bemerkte Prudence.
Chastity beugte sich vor und nahm Constance den Brief ab. »Ich werde mir eine passende Lösung ausdenken, halte es aber für besser, keine weiteren Spekulationen über die Briefe anzustellen, wenn wir nicht allen unseren Bekannten in kürzester Zeit mit Misstrauen begegnen wollen.«
Constance lachte. »Du hast Recht, Chas. Aber es sieht so aus, als hätte Tante Mabel großartig eingeschlagen.« Sie wurde wieder ernst. »Aber was sollen wir unserem ersten Klienten antworten?«
»Ach, immer schön der Reihe nach. Amelia Westcott hat oberste Priorität«, stellte Prudence fest. »Ihr müssen wir sofort antworten. Jenkins bringt den Brief zur Post, wenn er seiner abendlichen Stärkung zustrebt.«
»Unten in der Kneipe«, gab nun Chastity mit passablem Cockney-Akzent von sich. »Auf seinen Dämmerschoppen legt Mr.
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