Geliebter Tyrann
Gedanken gekommen, daß es Umstände geben könnte, die nicht in meiner Macht liegen?«
Wes blickte ihn einen Moment schweigend an. Als Freund hätte er Clay mehr Vertrauen schenken sollen. Er legte ihm die Hand auf die Schulter. »Warum kommst du nicht ins Haus? Nicole versprach, ein paar Krapfen zu backen, und die Zwillinge werden sich freuen, dich wiederzusehen.«
»Du scheinst recht häufig bei Nicole zu Gast zu sein«, sagte Clay kalt.
Wes grinste. »So gefällst du mir schon besser. Wenn du dich nicht um sie kümmerst, dann muß es ein anderer tun.«
Clay drehte sich um, verließ die Mühle und ging auf das Haus zu. Er hatte das Haus nicht mehr betreten, seit Nicole hierher gezogen war. Er war noch nicht ganz über die Schwelle getreten, als ihn die Wärme, die dieses Haus erfüllte, fast überwältigte. Es war mehr als die physische Wärme, die die riesige Herdstelle verbreitete: es war etwas Unfaßbares, das man nicht auf der Haut, sondern innerlich spürte.
Die Wintersonne fiel durch frisch geputzte Fensterscheiben. Der Raum war nur karg möbliert, und Clay erkannte die meisten Einrichtungsgegenstände wieder: sie hatten auf seinem Speicher gestanden, und er hatte sie vor Monaten über den Fluß schaffen lassen. Das Geschirr im Schrank neben dem Herd hatte Sprünge und paßte nicht zusammen. Auch an Töpfen und Kellen herrschte Mangel.
Doch trotz der Schlichtheit und Kargheit, die er wahrnahm, hätte Clay in diesem Moment gern sein schönes Haus gegen diese schlichte Wohnung eingetauscht. Janie beugte sich über einen Topf mit kochendem Öl und drehte Krapfen um, wenn sie an die Oberfläche kamen. Die Zwillinge schauten ihr dabei zu und vergaßen die Männer, die hinter ihnen standen.
»Mandy«, sagte Janie, »Wenn du versuchst, die Krapfen zu essen, so lange sie noch heiß sind, verbrennst du dir die Zunge. Das weißt du doch.«
Mandy kicherte, nahm sich einen frisch gebackenen Krapfen und biß hinein. Ihre Augen tränten, als sie sich den Mund verbrannte; doch sie wollte Janie nicht zeigen, daß sie Schmerzen litt.
»Du bist so eigensinnig wie dein Onkel«, sagte Janie verärgert.
Clay lachte leise, und Janie wirbelte herum. »Du solltest vorsichtiger sein, wenn du über jemanden redest, sonst hört er dir heimlich zu.«
Ehe Janie etwas erwidern konnte, quietschten die Zwillinge: »Onkel Clay!« und sprangen in seine Arme. Clay nahm ein Kind unter jeden Arm und wirbelte die beiden herum. Als er sie hochhob, legten sie ihm die Arme um den Hals. »Warum bist du nicht früher gekommen? Willst du dir nicht meine neuen Wel-pen anschauen? Möchtest du einen Krapfen haben? Sie sind gut, aber noch sehr heiß.«
Clay lachte und drückte sie an sich. »Habt ihr mich vermißt?«
»Ja, sehr sogar! Nicole sagte, wir müßten warten, bis du uns besuchen würdest, denn wir könnten nicht zu dir kommen.«
»Ist diese fette Lady immer noch bei dir?«
»Alex!« rief Nicole von der Treppe her. »Vergiß deine guten Manieren nicht!« Sie ging langsam auf Clay zu, während ihr das Herz bis in den Hals hinauf klopfte. Es erschreckte sie, daß seine Gegenwart sie so stark aus dem Gleichgewicht brachte. Da er ja so rasch bereit gewesen war, sie wieder aufzugeben, bedeutete sie ihm offensichtlich nicht sehr viel. Sie bemühte sich, ihren Zorn zu beherrschen. »Willst du nicht Platz nehmen?« fragte sie förmlich.
»Ja, Clay«, grinste Wes. »Nimm dir einen Stuhl. Janie, glaubst du, daß diese Krapfen schon kühl genug sind?«
»Mag sein.« Sie stellte die Platte auf den großen Tisch. »Wo bist du gewesen, du undankbarer, elender...«, zischelte sie leise. Leider fiel ihr kein Wort ein, das passend für sein Verhalten war. »Wenn du sie noch einmal mißhandelst, bekommst du es mit mir zu tun.«
Clay lächelte sie an, ergriff dann ihre rauhe, von der Arbeit rissige Hand und küßte sie. »Du bist eine großartige Beschützerin, Janie. Wenn ich dich nicht kennen würde, müßte ich mich fast fürchten.«
»Vielleicht solltest du das«, fauchte sie; doch in ihren Augen lag ein Zwinkern.
Nicole hatte den beiden den Rücken zugedreht, als sie den Eierpunsch in die Becher goß. Mit zitternden Händen stellte sie einen Becher vor Clay auf den Tisch.
Seine Augen ließen die ihren nicht los, als er den Becher hob. »Eierpunsch«, sagte er, »so etwas habe ich sonst nur zu Weihnachten bekommen.«
»Es ist ja Weihnachten!« meinten die Zwillinge lachend.
Clay sah sich um und bemerkte zum erstenmal die Mistelzweige auf
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