Geliebter Tyrann
sie unmöglich vergessen, da du keinen Moment vergißt, sie zu erwähnen. Und nun verschwinde! Ich habe zu arbeiten!« Er funkelte sie über sein Kontobuch hinweg an, sah zu, wie sie die Nase in die Luft reckte und aus seinem Büro stürmte.
Nachdem sie die Türe hinter sich zugeworfen hatte, goß Clay sich einen Brandy ein. Er hatte sich mehr als genug von dieser Bianca bieten lassen. Sie war vermutlich das faulste menschliche Wesen, das ihm je begegnet war. Sie schimpfte den ganzen Tag über die Dienstboten, weil sie sich weigerten, ihre Anordnungen zu befolgen. Anfangs hatte Clay den halbherzigen Versuch gemacht, sie zum Gehorsam zu zwingen; hatte das aber bald wieder aufgegeben. Warum sollte er sich dabei aufreiben?
Er verließ das Büro und ging in die Ställe hinüber, um sein Pferd zu satteln. Zwei Monate hatte er nun mit dieser Megäre verbracht! Jeden Tag versuchte er sich an die Edelmütigkeit seiner Motive zu erinnern, daß er vermutlich mit seinem Martyrium Nicoles Leben rettete. Doch Qualen, die man sich selbst
zufügt, haben ihre Grenzen. Inzwischen hatte er mehr Zeit, über alles nachzudenken, und er sah eine Möglichkeit, sich Biancas erpresserischen Plänen zu entziehen. Er konnte mit Nicole Virginia verlassen. Sie mußten eine Zeit abpassen, wo man sie ein paar Tage nicht vermissen würde, und nach Westen reiten. Am Mississippi wurde neues Land für Siedler freigegeben. Er hätte sich gern den Fluß und das Land dort angesehen.
In einer Beziehung hatte Bianca recht: Sie würde spätestens in einem Jahr bankrott sein. Er könnte arrangieren, daß Travis die Plantage zurückkaufte, nachdem Bianca sie in die roten Zahlen gebracht hatte. Travis und Wes konnten Bianca dann dazu zwingen, das Land zu verlassen. Er mußte nur dafür sorgen, daß Nicole dieser fetten Hexe nicht in die Hände fiel.
Clay zügelte am Rand des Flusses sein Pferd. Rauch kräuselte sich aus Nicoles Schornstein. Anfangs war er ihr fern geblieben. Er hätte den Schmerz, sie zu sehen, nicht ertragen können. Im vergangenen Monat hatte er oft auf dem Hügel gestanden und das Treiben jenseits des Flusses heimlich beobachtet. Er hatte sich danach gesehnt, zu ihr zu gehen und mit ihr zu reden; doch das konnte er nicht, solange er keinen Plan hatte. Nun hatte er einen.
Große, wirbelnde Schneeflocken begannen vom Himmel zu fallen, und während Clay über den Fluß sah, hörte er Hammerschläge. Er konnte eine großgewachsene Gestalt auf dem Dach der Mühle ausmachen, die lose Schindeln auf den Sparren festklopfte.
Mit einem Lächeln stieg Clay vom Pferd, gab ihm einen Schlag auf die Hinterbacke und sah zu, wie es zurück zu den Ställen trabte. Dann ging er hinunter zum Ruderboot und wollte hinüber zum anderen Ufer.
Er nahm einen Hammer aus der Werkzeugkiste, die neben der Leiter stand, und kletterte dann zum Dach hinauf. Wesley sah überrascht hoch, grinste und hielt ihm stumm eine Handvoll Nägel hin. Clay drückte rasch die spitzen Enden ins Holz und begann zu hämmern; er führte mit der linken Hand so schnell wie eine Maschine neue Nägel nach. Die körperliche Arbeit tat ihm gut nach den tagelangen Streitereien mit Bianca.
Es war schon fast dunkel, als die beiden Männer die Leiter hinunterstiegen. Sie waren beide verschwitzt und müde. Aber es war eine gute Müdigkeit nach gemeinsamer Arbeit mit einem Freund.
Sie gingen in die Mühle, wo es warm war und ein Zuber voll Wasser sie erwartete. Der Schnee fiel jetzt immer dichter vom Himmel.
»Ist ja schon eine Weile her, daß wir dich hier gesehen haben«, sagte Wes mit vorwurfsvoller Stimme.
Clay antwortete nicht, während er sich das Hemd auszog und anfing, sich das Gesicht zu waschen.
»Janie sagt, Nicole habe sich wochenlang jeden Abend in den Schlaf geweint«, fuhr Wes fort. »Vielleicht stört dich das nicht. Schließlich hast du ja diese fette Kopie von Beth, die dich warmhält.«
Clay starrte ihn an. »Du maßt dir ein Urteil über etwas an, wovon du nichts weißt.«
»Dann wäre jetzt ja eine Möglichkeit, mir dein sonderbares Verhalten zu erklären.«
Clay trocknete sich langsam ab. »Wir kennen uns schon ein ganzes Leben lang, Wes. Habe ich jemals etwas getan, das deine Feindseligkeit rechtfertigen könnte?«
»Bis jetzt noch nicht. Verdammt noch mal, Clay, sie ist eine schöne Frau. Sie ist gutherzig, liebenswürdig...«
»Das brauchst du mir nicht zu sagen!« unterbrach ihn Clay. »Glaubst du, ich will mich von ihr fernhalten? Bist du nie auf den
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