Geliebter Tyrann
»Aber für mich macht es einen Unterschied! Glaubst du, ich möchte mein Leben mit einem Mann verbringen, der so leicht sein eigenes Kind aufgeben könnte? Was wäre, wenn wir nach Westen gingen und ein Kind bekämen? Wenn du irgendein süßes junges Ding sähest, vielleicht mit ihm durchbrennst und unser Kind im Stich ließest?«
Ihre Worte gingen ihm unter die Haut, und er wich vor ihr zurück. »Wie kannst du so etwas glauben?«
»Wie kann ich es nicht? Was hast du jemals getan, das mich vom Gegenteil überzeugte? Ich war eine Närrin, und aus irgendeinem Grund, vielleicht deiner breiten Schultern wegen oder aus anderen, ähnlichen Nichtigkeiten, habe ich mich in dich verliebt. Du hast meine Schulmädchen-Begierden gründlich ausgenützt. Weshalb auch nicht? Du bist ja ein Mann.«
»Glaubst du das wirklich?« fragte er leise.
»Was soll ich denn sonst glauben? Ich habe nichts anderes getan als gewartet. Jede Minute habe ich gewartet - gewartet, daß ich anfangen dürfe, zu leben. Nun, jetzt warte ich nicht mehr!« Sie stieg in ihre Schuhe, stand auf und bewegte sich zum Ausgang der kleinen Höhle.
Clay zog sich rasch die Hose an und lief hinter ihr her. »So kannst du mich nicht zurücklassen«, sagte er und packte dabei ihren Arm. »Du willst mich einfach nicht verstehen.«
»Oh, doch, ich habe dich verstanden. Du hast deine Wahl getroffen. Ich vermute, du hast deine Entscheidung davon abhängig gemacht, wer von uns beiden zuerst schwanger würde. Die Courtalains sind nie besonders fruchtbar gewesen. Zu schade, sonst hätte ich vielleicht das Rennen gewonnen. Würde ich dann das große Haus haben? Die Dienerschaft?« Sie hielt inne. »Das Baby?«
»Nicole!«
Sie sah hinunter auf seine Hand auf ihrem Arm. »Laß mich los«, sagte sie kalt.
»Nicht, bis du zur Vernunft gekommen bist.«
»Du meinst, ich soll hier bleiben, bis du mit deinem süßen Reden mich wieder in deine Arme getrieben hast, nicht wahr?
Das ist vorbei. Es ist tot und aus zwischen uns.«
»Das kannst du nicht so meinen.«
Ihre Stimme war sehr ruhig. »Vor zwei Wochen hat mich der Doktor von dem Schiff, das mich nach Amerika brachte, besucht.« Clays Augen weiteten sich.
»Jawohl, dein Zeuge, den du vor einiger Zeit nicht rasch genug herbeizitieren konntest. Er sagte, er würde mir helfen, daß meine Ehe für ungültig erklärt wird.«
»Nein«, hauchte Clay, »ich will nicht...«
»Die Zeit ist vorbei für das, was du willst. Du hast alles gehabt, oder sollte ich sagen, jeden, den du haben wolltest? Nun bin ich an der Reihe. Ich werde aufhören zu warten und mit dem Leben beginnen.«
»Was soll das? Wovon redest du?«
»Zuerst von der Annullierung meiner Ehe. Dann gedenke ich, mein Geschäft zu vergrößern. Es gibt keinen Grund, warum ich nicht aus diesem schönen Land der ungeahnten Möglichkeiten meinen Nutzen ziehen sollte.«
Ein Scheit fiel auf das Feuer im kleinen Kamin, und das Glas, in dem das Einhorn eingeschlossen war, lenkte Nicoles Blick auf sich. Sie ließ ein trockenes, kaltes Lachen hören. »Ich hätte wissen müssen, was in dir vorging, als ihr jene kindischen Gelübde ablegtet. Ich war nicht rein genug, um das Einhorn berühren zu dürfen, nicht wahr? Nur deine teure, tote Beth war gut genug dafür.«
Sie drängte sich an ihm vorbei und ging hinaus in die kalte Morgenluft Ruhig und gefaßt ging sie zum Steg und ruderte mit dem Boot hinüber auf die andere Seite des Flusses. Ihr Großvater hatte ihr gesagt, daß man nie zurückschauen dürfe. Es war nicht leicht, den Verstand zusammenzunehmen, damit er nicht laut nach Clay schrie. Sie beschwor ein Bild von Bianca herauf, zufrieden und schwanger, die Hände auf der Wölbung, die Clays Kind verbarg. Sie blickte auf ihren eigenen flachen Leib und war dankbar, daß sie kein Kind in sich trug.
Als sie den Steg ihrer Mühle erreichte, fühlte sie sich besser. Sie stand auf und blickte zu dem kleinen Haus hinauf. Es würde eine Weile lang ihr Heim bleiben, und so betrachtete sie es jetzt. Sie brauchte mehr Raum, ein Wohnzimmer im Erdgeschoß, zwei zusätzliche Schlafzimmer im Oberstock. Aber dafür brauchte sie Geld, und das hatte sie nicht. Gutes, flaches Ackerland breitete sich um die Mühle aus, und sie erinnerte sich daran, daß Janie erwähnte, daß es zum Verkauf stünde. Aber sie hatte kein Geld, um Land zu kaufen.
Dann besann sie sich auf ihre Kleider. Sie waren bestimmt etwas wert. Allein der Zobelmuff... wie gern würde sie das alles Clay ins Gesicht
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