Geliebter Tyrann
Zigarre.
6
Nicole sah über den Rand des Buches hinweg, das sie in den Händen hielt, und beobachtete Clayton auf seinem Weg zum Haus. Sie sah, daß sein Hemd zerrissen war, seine Hose und seine Stiefel voller Schlamm. Als er in ihre Richtung blickte, schaute sie rasch wieder in ihr Buch, als hätte sie ihn nicht bemerkt.
Sie saß mit den Zwillingen unter einem der Magnolienbäume in der Südwestecke des Gartens, ln den drei Wochen, die seit der Nacht vergangen waren, seit sie allein am Teich gesessen hatte, hatte sie viel Zeit mit den Kindern verbracht- und sehr wenig mit Clay. Manchmal hätte sie weinen können, wenn er sie aufforderte, mit ihm zu frühstücken oder zu Abend zu essen, und sie hatte Kopfschmerzen vorgeschützt oder daß jemand ihre Hilfe benötigte. Nach einer Weile hatte er es aufgegeben, sie zu bitten. Er begann, sich zu den Mahlzeiten in die Küche zu setzen, wo Maggie ihm Gesellschaft leistete, und zuweilen kam er nachts überhaupt nicht ins Haus zurück, sondern schlief in den Unterkünften bei seinen Männern - oder Frauen, Nicole wußte es nicht so genau.
Janie hatte alle Hände voll zu tun, um in der Weberei die Kleiderstoffe für den Winter herzustellen, und Nicole verbrachte mehrere Nachmittage mit ihrer Freundin, die sie nie mit Fragen löcherte wie Maggie.
Im Haus stand Clay lange am Flurfenster im Oberstock und sah hinunter in den Garten, wo Nicole mit den Kindern zusammensaß. Er verstand ihre plötzliche Kühle nicht, warum hatte sich seine lachende freundliche Frau in ein Wesen verwandelt, das unentwegt arbeitete und immer müde war?
Er ging in sein Schlafzimmer zu einer hohen Kommode, zog sein zerrissenes, schmutziges Hemd aus und warf es achtlos über einen Stuhl. Die Schublade, die er öffnete, war voll sauberer, gebügelter Hemden, und als er eines davon herausnehmen wollte, hielt er inne und blickte sich im Zimmer um. Zum erstenmal, seit sein Bruder gestorben war, war sein Schlafzimmer sauber. Seine schmutzigen Kleider waren entfernt und sauber und gepflegt zurückgebracht worden,
Clay schob die Arme in die Ärmel hinein und ging, das Hemd über die Schulter ziehend, in Nicoles Zimmer hinüber. Auch das glänzte vor Sauberkeit im Sonnenlicht. Eine große Schüssel voller Blumen stand auf der Kommode mit der geschwungenen Vorderfront, auf dem kleinen Tisch neben dem Bett entdeckte er eine kleine Vase mit drei roten Rosen. Der Stickrahmen enthielt eine halbfertige Arbeit. Er fuhr mit den Fingerspitzen über die hellen Seidenfäden.
Sie war noch nicht einmal einen Monat im Haus, doch schon hatte es große Veränderungen gegeben. Gestern abend hatten ihm Alex und Mandy stolz gezeigt, daß sie ihren Namen schreiben konnten. Die Verpflegung auf der Plantage war immer gut, wenn auch einfach gewesen, doch unter Nicoles Regie tauchten immer wieder neue Gerichte auf der Speisenkarte auf.
Clay hatte stets geglaubt, es wäre ihm gleichgültig, wie es in seinem Haus aussah - nur die Felder interessierten ihn. Doch nun merkte er plötzlich, wie sehr er den Geruch von Bienenwachs liebte und daß die Zwillinge immer sauber und gepflegt aussahen. Das einzige, was er vermißte, war Nicoles Gesellschaft, die Art, wie sie lachte und ihn zum Lachen brachte.
Auf dem Weg zum Erdgeschoß hinunter hielt er auf der Treppe an und überlegte, woher sie denn die Helfer genommen hatte für das Saubermachen im Haus. Jeder auf der Plantage hatte eine feste Aufgabe, und soweit er wußte, hatte niemand seine Pflichten versäumt. Dann dämmerte es ihm, daß Nicole ganz allein das Haus geschrubbt haben mußte. Kein Wunder, daß sie stets müde war!
Lächelnd nahm er einen Apfel aus einer Schüssel, die auf einem Tisch in der Halle stand. Sie dachte vermutlich, ihn auf diese Weise für diese verdammten Kleider zu entschädigen, die er ihr gekauft hatte. Zuerst ging er nun in die Küche und befahl Maggie, ein paar Mädchen aufzutreiben, die Nicole im Haus helfen konnten, und dann ging er hinaus in den Garten.
»Schule ist aus«, sagte er, während er Nicole das Buch wegnahm. Die Zwillinge waren schon fort, ehe die beiden Erwachsenen auch nur blinzeln konnten.
»Warum haben Sie das getan? Ich war mit der Lektion noch nicht zu Ende.«
»Sie brauchen auch mal einen freien Tag. Ganz bestimmt!«
Sie wich vor ihm zurück. »Bitte, ich habe eine Menge zu tun.«
Clay sah stirnrunzelnd auf sie hinunter. »Was ist mit Ihnen los? Warum benehmen Sie sich, als hätten Sie Angst vor mir?«
»Ich habe keine Angst.
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