Geliebter Tyrann
Setzlinge aus der Tasche gestohlen. Wenn sie die Nachbarn besuchte, ging sie mit fünf Stecklingen von ihnen fort. Wenn sie zu Hause ankam, hatte sie nur noch vier. Ich habe mich oft gefragt, ob sie uns verdächtigte.«
»Mit uns meinen Sie sich und Ihren Bruder, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete er leise.
Nicoles Augen blinkten schelmisch. »Ich möchte bezweifeln, daß Sie beide allein die Blumen eingepflanzt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß zwei Jungen eine Strafe riskieren, indem sie Irisknollen stehlen. Könnte da nicht auch ein junges Mädchen im Spiel gewesen sein?«
Clays Gesicht verhärtete sich, und er schwieg eine Weile. »Elizabeth hat die Blumen angepflanzt.«
Der Ton, in dem er das sagte, verriet Nicole, daß diese Elizabeth ihm eine Menge bedeutet hatte, obwohl sie seiner Antwort nicht entnehmen konnte, ob er sie geliebt oder gehaßt hatte. »James und Beth«, sagte sie leise und setzte sich neben ihn. »Ist ihr Tod die Ursache Ihrer Trauer? Der Grund, warum Sie so selten lächeln?«
Er drehte ihr sein Gesicht zu, das sich vor Zorn dunkel färbte. »Solange Sie nicht bereit sind, mir zu vertrauen, dürfen Sie auch kein Vertrauen von mir erwarten.«
Nicole erschrak. Sie glaubte, es geschickt vermieden zu haben, seine Fragen über ihre Familie zu beantworten, aber er war sensibel genug, ihr anzumerken, daß sie nur etwas verbergen wollte. Und so wie für sie die Vergangenheit noch eine Wunde war, die man nicht berühren durfte, wollte auch er nicht darüber reden. »Verzeihen Sie mir«, flüsterte sie, »ich habe Sie mit meiner Frage nicht kränken wollen.«
Sie saßen eine Weile stumm nebeneinander. »Sie sagten, Sie wollten etwas mit mir besprechen«, ergriff Nicole wieder das Wort
Clay streckte sich aus, erleichtert, daß er seine Gedanken von seinem toten Bruder und seiner Schwägerin abwenden und zu einem angenehmeren Thema übergehen konnte. »Ich habe über Bianca nachgedacht«, sagte er, und seine Augen wurden dunkel. »Als ich den Entschluß faßte, sie zu entführen, schickte ich auch einen Brief an ihren Vater, der ihm eine Woche, nachdem das Paketboot in See gestochen war, zugestellt werden sollte. Ich wollte nicht, daß er sich ihretwegen Sorgen machte, wollte ihn aber auch nicht in dem Glauben lassen, daß er unsere Ehe verhindern könne. Deshalb hatte ich diese Ferntrauung arrangiert, die natürlich nicht so verlief, wie ich sie plante.«
Nicole hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Sie hätte nicht geglaubt, daß seine Worte so weh tun konnten, und um diesen Schmerz zu betäuben, ließ sie ihre Gedanken wieder zur Mühle zurückwandern. Sie konnte diese Mühle betreiben. Vielleicht konnte sie auch eine andere Arbeit in Amerika finden, oder vielleicht konnte sie in dieser Mühle wohnen und arbeiten - und Clay nahe sein.
»Erinnern Sie sich an die Fregatte, die schon an der Mole lag, als Ihr Schiff eintraf?« fragte Clay. »Ich gab diesem Schiff einen Brief an Bianca mit. Darin erklärte ich ihr alles. Ich schrieb ihr, daß ich irrtümlich mit jemand anderem verheiratet sei, aber daß diese Ehe sofort annulliert würde. Natürlich hatte ich das geschrieben, ehe ich den Brief vom Richter bekam.«
»Natürlich«, warf Nicole tonlos ein.
»Ich schickte ihr auch das Geld für die Überfahrt nach Amerika. Ich schrieb ihr, daß ich sie immer noch begehrte und bat sie, mir zu vergeben und nach Amerika zu kommen.« Clay stand auf und begann, auf der Lichtung auf- und abzuwandern. »Verdammt! Ich weiß gar nicht, warum das alles geschehen mußte. Ich konnte nicht nach England zurückkehren, nicht, wenn ich allein diese Plantage bewirtschaften mußte. Ich schrieb ihr mehrere Briefe und bat sie, zu mir zu kommen; doch sie hatte immer irgendeine Ausrede. Zuerst war ihr Vater sehr krank, und dann hatte sie Angst, ihn allein zu lassen. Ich konnte ihren Briefen entnehmen, daß sie Angst hatte, England zu verlassen. Zuweilen haben die Engländer seltsame Vorstellungen von uns Amerikanern.« Er blickte auf Nicole hinunter, als erwarte er von ihr eine Antwort; doch sie sagte nichts.
Er fuhr fort »Es wird einige Zeit dauern, ehe sie meinen Brief bekommt, dann noch Monate, ehe ich weiß, ob sie meinen Antrag annimmt oder nicht. Undnun kommen Sie ins Bild.« Er sah Nicole mit hoffnungsvollen Augen an; doch sie wollte immer noch nichts entgegnen.
»Ich weiß nicht, was Sie für mich empfinden. Zuerst dachte ich, Sie fänden Gefallen an meiner Gesellschaft; doch seit einiger Zeit... Sie
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