Geliebter Tyrann
ihre Lippen ab, und Tränen schossen ihr in die Augen. Es waren echte Tränen. Der Gedanke, daß sie all den Reichtum von Clay verlieren könnte, hätte fast einen Wutanfall heraufbeschworen. Diese verdammte Nicole! Diese falsche Schlange!
»Nein, sage das bitte nicht. Du gehörst hierher. Du hast immer hierhergehört.«
Seine Worte hatten einen seltsamen Klang; doch sie stellte sie nicht in Frage. »Wenn dieser Trauzeuge nach Amerika zurückkehrt, wirst du dann diese Ehe annullieren lassen? Du willst mich doch nicht nur vorläufig hierbehalten und dann... dann mich wieder abschaffen, nicht? Das wirst du doch nicht, oder?«
Er hob ihre Hand an seine Lippen. »Nein, natürlich nicht.«
Bianca lächelte ihn an und stand dann auf. »Ich bin sehr müde. Glaubst du, ich könnte mich nun zur Ruhe legen?«
»Natürlich.« Er nahm ihren Arm, um sie die Treppe hinaufzuführen, doch sie riß sich von ihm los.
»Wo sind die Diener? Wo sind deine Haushälterin und dein Butler?«
Clay folgte ihr die Treppe hinauf. »Ich habe ein paar Frauen, die Nicole helfen, oder ihr halfen, ehe sie auf die andere Seite des Flusses zog; doch sie schlafen drüben im Webhaus. Ich hatte nie das Empfinden, daß ich einen Butler oder eine Haushälterin brauchte.«
Sie blieb oben auf dem Treppenabsatz stehen, und ihr Herz klopfte von der Anstrengung. Sie lächelte kokett. »Doch jetzt hast du mich. Da wird sich natürlich manches ändern.«
»Wie du es wünschst«, sagte er leise und öffnete die Tür zu dem Zimmer, das vorher Nicole gehört hatte.
»Einfach«, sagte sie, »doch passabel.«
Clay ging zu dem Sekretär mit der geschwungenen Vorderfront und berührte eine Porzellanfigur. »Das war Elizabeths Raum«, sagte er und wandte sich ihr wieder zu. Er blickte sie mit einem beinahe verzweifelten Gesichtsausdruck an.
»Clay!« sagte sie, ihre Hand am Hals. »Wenn du mich so anschaust, fürchte ich mich fast vor dir.«
»Entschuldigung«, sagte er rasch. »Ich werde dich jetzt allein lassen.« Er verließ schnell das Zimmer.
»Hat man schon so etwas Ungehobeltes, Ungezogenes gesehen ...«, schimpfte Bianca leise vor sich hin, zuckte dann aber mit den Schultern. Sie war froh, ihn loszusein. Sie sah sich im Zimmer um. Es war ihr zu asketisch. Sie berührte die weißen und blauen Bettvorhänge. Pinkfarben müßten sie sein, dachte sie. Sie würde das Bett neu mit pinkfarbenem Tüll und vielen Rüschen beziehen lassen. Auch die Tapete mußte pinkfarben sein, und vielleicht ließ sie sie auch mit kleinen Blumen bemalen. Die Möbel aus Walnuß und Ahornintarsien mußten natürlich auf den Speicher, sie würde sie durch vergoldete Möbel ersetzen.
Sie zog sich langsam aus und legte ihr Kleid über eine Sessellehne. Der Gedanke an Nicoles aprikosenfarbenes Seidenkleid machte sie wütend. Wer war sie eigentlich, daß sie Seide tragen durfte, wenn sie, Bianca, sich mit Gaze und Musselin begnügen mußte? Warte nur ab, dachte sie, sie würde diesen ignoranten Kolonisten schon zeigen, was echter Stil war! Sie würde sich eine Garderobe kaufen, daß Nicole im Vergleich dazu wie ein billiges Flittchen angezogen war.
Sie schlüpfte in ein Nachthemd, das sie aus dem Koffer nahm, den Roger mitten ins Zimmer gestellt hatte, und kletterte in das Bett. Die Matratze war ein bißchen zu hart für ihren Geschmack. Sie schlief mit dem Gedanken ein, was sie auf der Plantage alles ändern wollte. Das Haus war offensichtlich zu klein. Sie würde einen Flügel anbauen lassen, ihren eigenen privaten Flügel, damit sie sich Clay vom Leibe halten konnte, wenn sie erst verheiratet waren. Sie würde sich eine Kutsche kaufen, eine Kutsche, die selbst eine Königin vor Neid erblassen ließ! Der Wagenhimmel würde von vergoldeten Cherubinen gehalten werden. Sie schlief lächelnd ein.
Clay verließ rasch das Haus und wanderte in den Garten. Das Mondlicht spiegelte sich im Wasser des gekachelten Basins. Er zündete sich eine lange Zigarre an und stand still im Schatten der Hecken. Als er Bianca sah, glaubte er zunächst, er habe ein Gespenst erblickt. Es war fast so, als wäre Beth wieder ins Haus zurückgekommen. Diesmal würde sie ihm aber keiner mehr wegnehmen - nicht sein Bruder, nicht der Tod. Sie würde für immer ihm gehören...
Er warf die Zigarre fort und zertrat sie unter dem Stiefel. Er lauschte angestrengt, ob er das Wasserrad der Mühle hören konnte; doch sie war zu weit entfernt. Nicole, dachte er. Selbst jetzt, da Bianca ihm so nahe war, mußte er an
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