Geliebter Tyrann
viel Sinn für Humor, was James und mich manchmal verwirrte, als wir noch jünger waren. Wenn sie uns ein Lunchpaket zum Angeln mitgab und wir einen Topf aufmachten, in dem wir Marmelade vermuteten, fanden wir einen Frosch darin. Und wir schämten uns, daß sie mehr Fische fangen konnte als wir beide zusammen.«
Nicole lächelte an seiner Schulter, während sie sich seine Mutter vorstellte. »Und wie war dein Vater?«
»Er himmelte sie an. Selbst als James und ich schon erwachsen waren, scherzten und spielten die beiden wie Kinder. Sie führten eine sehr glückliche Ehe.«
»Beth«, flüsterte Nicole und spürte, wie er für einen Moment erstarrte.
»Beth war die Tochter unseres Aufsehers. Ihre Mutter starb bei ihrer Geburt, und sie hatte weder Brüder noch Schwestern. Es war für meine Mutter eine Selbstverständlichkeit, daß sie das Mädchen unter ihre Fittiche nahm. Und James und ich nahmen sie auf wie eine Schwester. James war acht, als Beth geboren wurde, und ich war vier. Es gab nie Eifersüchteleien des Babys wegen, dem meine Mutter sehr viel Zeit widmete. Ich erinnere mich noch daran, wie ich sie selbst auf den Armen umhertrug. Als sie gehen konnte, folgte sie uns überall hin. James und ich konnten nicht einen Tag auf den Feldern verbringen, ohne daß die kleine Beth in unserer Nähe war. Ich lernte das Reiten mit Beth hinter mir im Sattel.«
»Und du hast dich in sie verliebt.«
»Ich habe mich nicht eigentlich in sie verliebt. James und ich liebten sie von Anfang an.«
»Doch sie hat James geheiratet.«
Clay schwieg einen Moment. »So war es nicht. Ich glaube nicht, daß jemals darüber gesprochen wurde; doch es war immer eine beschlossene Sache zwischen uns, daß sie James heiraten würde. Ich glaube nicht einmal, daß er ihr jemals einen richtigen Heiratsantrag machte. Ich erinnere mich noch an die Party, als Beth sechzehn Jahre alt wurde, und James sagte, ob sie nicht meinte, daß es Zeit wäre, den Termin für die Hochzeit festzusetzen. Die Zwillinge kamen auf die Welt, ehe sie siebzehn war.«
»Was war sie für ein Mensch?«
»Glücklich«, sagte Clay leise. »Sie war der glücklichste Mensch, den ich je gekannt habe. Sie liebte so viele Leute. Sie war eine Frau voller Energie und immer voller Lachen, ln einem Jahr fiel die Ernte so schlecht aus, daß wir dachten, wir müßten Arundel Hall verkaufen. Selbst Mutter hörte auf zu lächeln. Aber nicht Beth. Sie sagte uns allen, daß wir aufhören sollten, uns leid zu tun. Tut lieber etwas, sagte sie. Bis zum Ende jener Woche war es uns gelungen, einen Wirtschaftsplan aufzustellen, der uns über den Winter bringen würde. Es war ein schwerer Winter für uns; doch es gelang uns, die Plantage zu retten. Und das hatten wir nur Beth zu verdanken.«
»Doch sie starben alle«, flüsterte Nicole und dachte dabei genauso an ihre wie an seine Familie.
»Ja«, sagte er leise. »Auf den Winter folgte eine Choleraepidemie, und es gab viele Tote in der Grafschaft. Zuerst starb mein Vater, dann meine Mutter. Ich hätte nicht geglaubt, daß wir uns von diesem Schlag erholen würden; doch in gewisser Weise bin ich froh, daß sie gemeinsam das Zeitliche segneten. Es hätte ihnen nicht gefallen, getrennt weiterzuleben.«
»Aber du hattest immer noch James und Beth und die Zwillinge.«
»Ja«, antwortete er lächelnd. »Wir waren immer noch eine Familie.«
»Du wolltest nicht dein eigenes Heim haben, deine eigene Frau und eigene Kinder?« fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Das hört sich heute seltsam an; doch ich war zufrieden. An Frauen fehlte es nicht, wenn ich nach einer verlangte. Da war eine hübsche kleine Weberin, die...« Er hielt inne und lachte in sich hinein. »Ich könnte mir denken, daß du das nicht so gerne hören möchtest.«
Nicole nickte heftig.
»Ich glaube nicht, daß ich jemals jemandem begegnet bin, der zu uns dreien gepaßt hätte. Wir hatten unsere Kindheit gemeinsam verbracht, kannten jeder die Gedanken und Wünsche des anderen, als wären es unsere eigenen. James und ich arbeiteten zusammen, sprachen selten ein Wort miteinander, und dann pflegten wir nach Hause zu gehen zu Beth. Sie... ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll: sie hieß uns beide willkommen. Ich weiß, sie war James’ Frau; doch sie kümmerte sich genauso sehr um mich. Sie kochte mir immer meine Leibgerichte, nähte mir neue Hemden.«
Seine Stimme brach. Er hielt Nicole fest an sich gepreßt und vergrub sein Gesicht in ihren süß duftenden
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