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Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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jemanden wie Bernard kennengelernt. Bernard war ein großer, bärenhafter Mann, der männlichste Mann, der ihr je begegnet war. Jedenfalls besaß er die Eigenschaften, die sie für männlich hielt. Bernard war praktisch. Er konnte jede Art von Maschine reparieren und mit jeder Art von Leuten umgehen. Natürlich war er ein Chauvi, kategorisch und verbohrt. Es fiel ihm nicht ein, im Haushalt zu helfen, und er konnte sich nicht mal ein Ei kochen. Andererseits war er immer fröhlich, fast niemals schlecht gelaunt und ganz ohne Bosheit. Er war ein bißchen schlampig, achtete nicht auf seine Kleidung und Erscheinung, spielte sich niemals groß auf und gab sich auf keine Weise »intellektuell« oder »künstlerisch«, wie das so viele ihrer männlichen Bekannten taten.
    Fionas Mann war, von allen, die sie kennengelernt hatte, der einzige Mensch, dem vollkommen schnuppe war, was andere von ihm hielten. Bernard war ein liebevoller Vater, mehr für die Kinder da als sie selbst, wenn Fiona ehrlich war. Dennoch war Bernard nicht der ehrgeizlose Stromer, vor dem ihr Vater sie gewarnt hatte. Bernard wurde von einer Kraft, einem Gedanken oder Glauben getrieben, wie man es großen Künstlern nachsagt, und wehe dem, der sich ihm in den Weg stellte. Es war nicht leicht, mit Bernard zu leben. Im Berlin der Nachkriegszeit aufgewachsen, wo sein Vater eine höhere Stellung beim militärischen Nachrichtendienst hatte, war er von Kind auf an eine Atmosphäre der Gewalt und des Verrats gewöhnt. Von Natur aus war er hart im Nehmen und zurückhaltend, was seine Gefühle anging. Wo es seine dienstlichen Pflichten verlangten, hatte Bernard Menschen getötet, und zwar ohne Skrupel. Er war ausgeglichen und erfreute sich eines Selbstvertrauens, das Fiona nur bestaunen konnte und um das sie ihn beneidete. Was ihre Ehe schwierig machte, war die Tatsache, daß Bernard Fiona viel zu ähnlich geartet war. Keinem von beiden fiel es leicht auszusprechen, was Männer und Frauen einander sagen müssen, um ihre Ehen in Gang zu halten. Selbst »Ich liebe dich« ging Bernard nicht leicht über die Lippen. Bernard hätte eine umtriebige, extravertierte Frau gebraucht, jemanden wie Fionas Schwester Tessa. Eine solche Frau hätte es vielleicht vermocht, ihn aus seiner Schale zu ziehen. Wenn sich Bernard nur gelegentlich einmal leisten würde, dumm und trivial zu sein! Wenn er nur ab und zu einmal Zweifel oder Ängste laut werden ließe und bei ihr Trost suchte! Fiona brauchte keinen starken, schweigsamen Mann. Stark und schweigsam war sie selber. Einem solchen Mann fiel es schwer, den Standpunkt einer Frau wirklich mitzufühlen, und Bernard wollte nie verstehen, was Frauen bewegte, »über nichts« zu weinen.
    In letzter Zeit hatte Fiona immer häufiger das Gefühl gehabt, nicht mehr lange aushalten zu können, was die Aufgabe, die sie angenommen hatte, von ihr forderte. Sie nahm Beruhigungspillen und Schlaftabletten mit einer Regelmäßigkeit, die früher nicht nötig gewesen war. Wiederholt hatte Bernard sie, wenn er unerwartet nach Hause kam, in Tränen gefunden. Sie hatte ihm erzählt, daß sie bei einem Gynäkologen in Behandlung sei. In seiner Verlegenheit hatte der gute alte Bernard nicht weiter nachgefragt.
    Wenn ihre Gedanken sie deprimierten und die Sorgen ihr keine Ruhe ließen, verließ Fiona unter irgendeinem Vorwand das Büro und ging zu Fuß zur Waterloo Station. Sie hatte diesen Bahnhof liebgewonnen. Die Größe des Gebäudes versprach Dauerhaftigkeit, die strenge Eisenträgerkonstruktion bürgte für Anonymität; ein weitläufiger Wartesaal, erbaut aus den vorgefertigten Teilen eines Baukastens. Durch das schmutzige Glasdach fiel das Tageslicht grau, staubig und geheimnisvoll. Heute – trotz des Regens – hatte ihr der Fußweg vom Büro dorthin gutgetan. Nun saß sie auf einer Bank in der Nähe von Bahnsteig eins und weinte sich in aller Stille aus. Niemandem schienen diese Gefühlsausbrüche aufzufallen, nur einmal war ihr seitens einer Dame von der Heilsarmee Gelegenheit zum Gebet angeboten worden, die genannte Adresse war irgendwo in Lambeth. Schluchzen war auf dem Waterloo-Bahnhof nichts Ungewöhnliches. Trennungen standen hier auf der Tagesordnung, und neuerdings war der Bahnhof zudem ein Ort, wo sich Wohnungslose und Hungrige versammelten. Ebensogut hätte Fiona wohl auch auf dem Londoner Flughafen weinen können, nur bestand dort in höherem Maße die Gefahr, jemanden zu sehen, den sie kannte. Oder vielmehr, daß jemand, der sie kannte,

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