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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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halte seinem Blick stand. Ich spüre, dass ich dabei bin, die Prüfung zu bestehen.
    «Du gehörst», fragt er nur, «zu der Partie, die nach Likino geht?» Ich nicke. Dann verabschiedet er mich: «Ich stelle dich als Ingenieur ein. Morgen früh meldest du dich bei Hartmann. Deine Freistellung veranlasse ich.»
    Mein Herz hüpft vor Freude: Geschafft! Nun ja – Ingenieur ist zwar lächerlich, aber wir sind nun mal im Lager, und da wird’s nicht so genau genommen. Die Hauptsache: Ich brauche nicht mehr in die Taiga!
    Vom Übermut überwältigt, wage ich noch einen Vorstoß. Beim Hinausgehen wende ich mich um, zeige auf meinen zerfetzten Mantel und frage: «Kann ich denn so ins Büro?»
    Dostal zieht die Brauen hoch, reißt die Frankreichkarte aus dem Block und schreibt, während er mich nach meinem Namen fragt, auf das nächste Blatt mit sich überschlagenden Buchstaben:
    «Materiallager Sowieso. Auszuhändigen an Ing. PTO Rjuke eine Jacke. – Dostal»
    Ich gehe an Hartmann vorbei auf die Straße. Dort kommt mir der verwegene Gedanke, vor meinen verballhornten Namen ein B zu setzen, sodass man ihn als brjuki (Hose) lesen kann. Gelänge das, wäre ich fast von Kopf bis Fuß neu eingekleidet.
    Der Lagerist ist ein halber Analphabet. Ich muss ihm den schwer entzifferbaren Zettel vorlesen. Er nimmt mir meine Auslegung ab. Ich ziehe mich an Ort und Stelle um, verfrachte die alten Klamotten gleich in den Müll und gehe zur Freigängerzone zurück. Ich gehe nicht, ich schreite , mich gleichsam meiner neuen Heimat vorstellend. Was ich noch nicht weiß: dass ich tatsächlich elf Jahre meines Lebens in diesem Kaff verbringen werde, elf wertvolle Jahre im frühen Mannesalter, die die produktivsten meines Lebens hätten sein können.
    Am nächsten Morgen scheint es einen Moment so, als sei meine Hoffnung, nie wieder in den Wald zu müssen, schon wieder zerronnen. Hartmann sieht mich unheilvoll an, als ich pünktlich in der Produktionsabteilung erscheine: «Mach dich auf was gefasst, der Chef ist sauer!»
    Und wirklich – Dostal blafft mich an: «Du hast mich gestern belogen!» Ich weiß nicht, worauf er hinauswill.
    «Du bist ja in Berlin geboren!», bellt er.
    «Davon war gestern nicht die Rede», sage ich.
    «Nun stell dich mal nicht dümmer, als du bist», erwidert er grollend. «Du weißt ganz genau, dass das hier immer eine Rolle spielt.»
    Doch unerwartet lenkt Dostal ein. Er erklärt mir, dass die Opertschek-Abteilung Einspruch gegen meine Freistellung erhoben hat. «Aber zum Glück», sagt er, «kann ich mich gegen diese …» – er nuschelt etwas, es klingt wie: «Ganoven durchsetzen.»
    Später finde ich bestätigt, dass zwischen der Zweiten und Dritten Abteilung (Produktion und Tscheka) ein zermürbender Kleinkrieg tobt. Die Produktionsabteilung ist in der Regel darauf bedacht, fähige Leute zu fördern, während für die Tschekisten Qualifikation keine Rolle spielt. Wie sich Dostal gegen die allmächtigen Spürhunde der Dritten Abteilung durchsetzen kann, erfahre ich nie.
    Mein Album wird in Rekordzeit fertig. Es ist nicht nur dick und bunt, sondern vor allem verwirrend. Mit Längs- und Querzeichnungen und einer Heerschar von Koeffizienten habe ich an die 25   000 Festmeter Holz «wettgemacht» und eine Quartalsleistung von 275   000 Festmetern fast wissenschaftlich nachgewiesen.

NACHKRIEG
    Es ist der 9. Mai, ich habe mich gerade erst richtig in die Albumsarbeit hineingekniet. Als ich mich am Morgen zum Dienst aufmache, schrillt die Sirene des Sägewerkes. Viktor Fjodorowitsch stürmt in unser Zimmer und schreit: «Sieg! Eben kam die Nachricht im Radio! Deutschland hat kapituliert!»
    Alle rennen durcheinander, umarmen und gratulieren einander, weinen, rufen und wünschen begeistert die Zukunft herbei. Jeder hofft, dass nun Schluss sei mit der Arbeitsarmee, mit der Fronarbeit und dem Hunger. «Ein paar Wochen noch», hört man allenthalben, «dann sind wir zu Hause, bei Muttern!»
    Ich bin skeptischer. Das Bild des hassenswerten Deutschen, sage ich mir, verschwindet nicht von heute auf morgen. Wenn man sich an die Schreckensjahre in Moskau vor dem Krieg erinnert, kann man keinesfalls davon ausgehen, dass die ausgestoßenen Menschen in absehbarer Zeit wieder ins normale Leben einbezogen werden. Was aber konkret mit uns, den «mobilisierten Deutschen», geschehen wird, vermag ich mir nicht auszumalen.
    Dennoch hoffe ich. Man kann uns, die Emigranten, doch nicht mit den Ex-Kulaken gleichsetzen! Womöglich

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