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Gelyncht - Gus Dury ; 2

Gelyncht - Gus Dury ; 2

Titel: Gelyncht - Gus Dury ; 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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bereits viel zu viel gesagt. Debs musste wieder Freude im Leben finden. Sie war noch jung und schön. Sie konnte weiterziehen, die Vergangenheit hinter sich lassen.
    »Gus …« Sie ergriff meinen Arm. »Ich bringe es einfach nicht fertig, ihm zu sagen, dass ich keine Kinder bekommen kann.«
    Ich war auf Knien, hielt sie fest umschlungen, bevor ich mitbekam, dass die Tränen wieder zu laufen begonnen hatten.

D ie Princes Street war in letzter Zeit verkommen. Einst die Adresse mit den namhaftesten Geschäften Schottlands, beherbergt sie heute Discounter, Spielhallen und, was am schlimmsten ist, Sexshops. Ich schlich an einem Schaufenster mit ordinären Krankenschwesternuniformen vorbei, Gerätschaften für Dominas und – gibt es eigentlich einen blöderen Euphemismus? – Liebesspielzeug. Wenn ich schon dabei errötete, der Himmel allein weiß, was Otto Normalverbraucher davon hielt. In früheren Jahren hätte eine solche Schaufensterauslage die geilen alten Säcke angelockt, die, braune Papiertüten an sich drückend, draußen vorbeischlurften. Heute ist es völlig normal auf der Haupteinkaufsstraße der schottischen Hauptstadt. Wie sich die Dinge geändert haben.
    Ich band Usual an und ging auf einen Sprung in einen Whisky-Laden. Auch von denen gab es immer weniger. Kaufte mir eine kleine Flasche Bell’s und eine ganze Flasche Glenfiddich in einer Geschenkschatulle; hatte Pläne, die einen Hauch von Getränke sind selbst mitzubringen erforderten.
    Vor dem Laden schraubte ich den Verschluss meines aktuellen Einkaufs ab und genehmigte mir einen ordentlichen Schluck. Der Hund scharrte an meinen Beinen, wollte losgebunden werden. Ich tat ihm den Gefallen, schlenderte weiter und nahm dann einen Bus zurück zum Boot. Die gemächliche Fahrt durch die Innenstadt und der leichte Schwips von dem Whisky ließen mich wieder über Debs nachdenken. Unser Treffen ging mir nicht aus dem Kopf. Ich habe so eine Ader, ist wahrscheinlich was Presbyterianisches, das sich in Momenten wie diesem nach Vorherbestimmung sehnt. Es ist ein typisch schottischer Wesenszug. Wir haben sogar eine entsprechende Redewendung: What’s for ye’ll no’ go by ye. Grob übersetzt etwa: Es kommt, wie’s kommt.
    Ich mochte den Tiefsinn dahinter. Das sprach meine Alki-Weisheit an. Wir suchen doch alle jemanden, der sagt: »Du bist verloren, und du kannst absolut nichts dagegen tun.« In solchen Fällen ist stets die beste Vorgehensweise zu sagen: »Scheiß drauf, lassen wir uns so richtig volllaufen.«
    Es gibt Alkis, die können das dem Untergang geweihte Zeug unterscheiden von den alltäglichen Enttäuschungen, wie eine Verletzung beim Rasieren, den angebrannten Toast, den Bus mit Verspätung. Ich hingegen addiere einfach alles auf und sag: »Da hast du deinen Beweis.«
    Wenn etwas richtigläuft, dann kriege ich echt Stress.
    Wenn nichts schiefgeht, wenn die Welt sich verschwört, dir etwas Ruhe zu schenken, dann ist es die heilige Pflicht des Trinkers zu reagieren. Das Gefühl beschleicht dich, die Welt rückt dir immer dichter auf die Pelle. Es ist alles viel zu klein. Zu einfach. Menschen, normale Menschen, beginnen dich endlos zu nerven. Deine Wut kennt keine Grenzen. Brüllen, Schimpfen, Grölen und Toben – auf alles und jeden – wird zur Norm. Der Kommentar eines DJs im Radio, eine beiläufige Bemerkung, die du in einem Laden aufgeschnappt hast, und schon gehst du hoch. Du willst raus. Egal, wohin. Nur weg von diesem … Zustand.
    Ich habe von berühmten Alkoholikern gelesen; es ist fast schon eine fixe Idee geworden. Sie sagen alle ohne Ausnahme das Gleiche: »Ich kann mir eine Welt ohne Trinken nicht vorstellen, sie wäre einfach viel zu … langweilig.«
    Wenn ich das höre, dann weiß ich sofort, hier spricht die Sucht. Alkis kommen einfach nicht mit sich selbst zurecht. Zum einen verabscheuen sie sich selbst. Tage auf dem Trockenen ziehen sich schier endlos dahin. Als wäre man mit einem Fremden eingesperrt. Einem Fremden, den man hasst. Man trinkt, und der Fremde verschwindet, lässt einen in Frieden. Mehr als das, man findet einen anderen Zustand. Einen Ort, an dem man nicht den ganzen Tag und die ganze Nacht schreien muss, als befände man sich im Fegefeuer und würde permanent vom Teufel gepiesackt.
    Rousseau sagte: »Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.« Alkohol war mein Schlüssel. Er sperrte die Ketten auf. Er befreite mich – für eine kurze Weile.
    Ehe ich michs versah, war ich wieder auf dem Boot.

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