Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
einfachen Anfang. Es ging darin um die Schöpfung und Jugend und Unschuld.
Der Mittelteil war über das Leben und die Liebe und das Altwerden.
Das letzte Stück erzählte das Ende. Das Ende des eigenen Lebens. Den Hitzetod des Universums. Das Ende aller Tage.
Regentropfen prasselten auf die Musik und wuschen sie weg.
Es spielte keine Rolle. Die Symphonie brannte in Eliots Verstand. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er je den Mut haben würde, das ganze Stück zu spielen. Aber er würde es auch nie vergessen.
Regen durchtränkte sein Hemd. Schatten verhüllten den Durchgang, und Eliot fühlte sich wieder beobachtet.
Er ließ das Meisterwerk dahinschmelzen und spazierte zum Bürgersteig. Schäfte aus Sonnenlicht rangen darum, durch die dichter werdenden Wolken zu brechen. Blitze flackerten am Horizont. Drei Krähen saßen auf den Telefonleitungen, krächzten und flatterten dann auf.
»Irdische Verstrickung« hallte in Eliots Geist wider.
Was, wenn es stimmte? Dass man nur ein einziges Leben zu leben hatte, und danach kam nichts mehr? Für immer?
Warum sollte er aus dem einen Leben, das er hatte, nicht das Beste machen? Liebe und Abenteuer suchen, solange er konnte? Morgen würde er vielleicht tot sein.
Er war sich nicht mehr sicher, was er tun sollte. Doch er war sich sicher, dass er zum Busbahnhof gehen würde, um Julie ein letztes Mal zu sehen – selbst, wenn es nur war, um ihr einen Abschiedskuss zu geben.
56
Zurückgelassen
Eliot betrat die Eingangshalle des Greyhound-Busbahnhofs von Del Sombra – bereit und willens, ein neues Leben zu beginnen. Zwei Hippies mit langen Bärten standen an einem Automaten. Ein anderer Mann saß in der Nähe der Waschräume; sein Gesicht war von einer Zeitung verdeckt. Er trug einen schwarzen Anzug.
Aber Julie war nicht hier.
Eliot setzte sich auf eine der Holzbänke. Er las die Zeit von der Uhr über dem Fahrkartenschalter ab. Zehn Minuten, bis ihr Bus abfuhr.
Er stellte sich vor, wie er an einer Straßenecke in Hollywood stand und Geige oder vielleicht sogar Gitarre spielte. Konnte man damit seinen Lebensunterhalt verdienen? Die Leute in Los Angeles waren sicher netter als die in Del Sombra. Das mussten sie einfach sein, wenn so viele Leute so nahe beieinander lebten. Sonst wäre ja jeder dem anderen auf die Nerven gegangen.
Sie würden Eliot bezahlen, damit er in einem Club spielte. Alle würden applaudieren.
Er zwang sich aufzuhören.
Das hier war nur eine weitere Phantasievorstellung. Es würde nicht einfach sein, ein Star zu werden. Es würde viel Arbeit erfordern, aber er glaubte, dass eine Chance bestand. Besonders mit Julie an seiner Seite.
Draußen war es jetzt ungewöhnlich dunkel. Straßenlaternen gingen flackernd an und warfen orangefarbene Lichtkegel.
Eliot zog seine Geige hervor und strich über die Saiten. Die Hippies sahen ihn an. Der Kerl bei den Waschräumen ließ die Zeitung sinken. Eliot zupfte ein paar Töne aus dem Mittelteil der Symphonie.
Wer jung ist, eilt zu rasch voran,
das Lebensrad hält nimmer an,
bald groß und voller Sünde dann -
da fängt der Spaß erst richtig an!
Das war das Gute daran. Das Leben war lebenswert. Man musste Risiken eingehen, sonst bekam man keine Chance, überhaupt glücklich zu werden.
Zum ersten Mal übernahm Eliot die Kontrolle über sein Leben. Keine Regeln mehr. Keine Großmutter. Niemand, der ihm sagte, was er tun sollte.
Er verspürte Gewissensbisse wegen Fiona und der dritten Heldenprüfung. Sie würde auch ohne ihn klarkommen, aber dennoch schien die Last dieser überaus wichtigen Entscheidung etwas in ihm zu erdrücken.
Aber es ging um ihn . Um sein Leben. Und Julies.
Noch fünf Minuten. Wo war sie?
Eliot berührte die Saiten seiner Geige wieder; nur ein paar Töne aus »Julies Lied«. Er spielte die Passage darüber, dass es in ihrem Leben noch immer Hoffnung gab.
Für einen Moment brach Sonnenlicht durch die Wolken.
Eliot hörte auf und schob Frau Morgenröte zurück in den Gummistiefel und dann in seinen Rucksack.
Die Hippies und der Kerl im Anzug stiegen in den Bus.
Der Busfahrer kam aus dem Waschraum und blieb vor Eliot stehen. »Kommst du an Bord, junger Mann? Oder wartest du auf jemanden?«
»Beides, schätze ich.«
Der Fahrer zupfte an seiner Mütze. »Wir fahren pünktlich um halb sechs ab.«
»Ja.« Die Uhr an der Wand zeigte 17:28 Uhr.
Julie musste ganz in der Nähe sein. Eliot konnte sie beinahe spüren.
Er stand auf und streckte den Kopf aus dem Busbahnhof. Die
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