Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
Großmutters und Cecilias Einfluss auf ihn: immer ihr »braver kleiner Junge«. Vielleicht hatte Louis Recht: Er musste aufhören, sich so wertlos zu fühlen.
»Wenn ich spiele, ist es, als ob …«
»… die Welt zuhört? Der Himmel und die Erde dich begleiten? Das ganze Universum dein Publikum ist?«
Eliot nickte. »Da waren diese Ratten im Abwasserkanal und eine Jahrmarktsorgel auf einem Rummelplatz …«
»Ich weiß. Ich habe jeden einzelnen Ton gehört; der Wind hat sie mir zugetragen.«
Das war nicht möglich. Jetzt redete Louis irre.
Und doch war er derjenige, der Eliot überhaupt erst gezeigt hatte, wie er auf Frau Morgenröte spielen musste, der sein Talent hervorgelockt hatte.
Louis war nicht normal. Das stand fest. Aber wie unnormal war er?
Er war nicht wie Onkel Henry oder Großmutter oder sonst irgendjemand in der Familie. Er war nicht wie irgendeine Person, die Eliot je getroffen hatte, ob nun bei Sinnen oder nicht.
»Wer sind Sie?« Eliots Frage war ein Flüstern, als ob die Tatsache, dass er sie stellte, irgendeine unausgesprochene kosmische Regel brach.
Louis’ Mund bewegte sich, aber es kamen keine Worte hervor. Endlich brachte er heraus: »Ich bin jemand, dem du sehr wichtig bist.« Er seufzte. »Anscheinend sogar noch wichtiger, als ich es selbst bemerkt habe.«
Louis schaute hoch, und Eliot folgte seinem Blick.
»Wir haben nicht viel Zeit. Es gibt Pläne zu bedenken.« Er sah Eliot wieder an; verschiedene Gefühle rangen um die Herrschaft über seine Gesichtszüge. »Und Pläne, die neu bedacht
werden müssen.« Louis stand auf und wandte der Dunkelheit den Rücken. »Ich muss dich nach Hause bringen. Es ist zu spät, um sich noch in diesem Teil der Stadt aufzuhalten.«
Eliot wollte nicht nach Hause. Louis verstand etwas von Musik. Wusste er auch etwas über die Familie? Den Rat? Wie konnte jemand, der in einem Durchgang hauste, das alles wissen?
»Sie wissen, was vorgeht, oder? Meine Familie … die Prüfungen …«
»Ich würde dich nie anlügen, Eliot. Ja, ich weiß davon. Zumindest zum Teil.«
»Wer sind Sie?«
Louis scheuchte Eliot weiter. Er war stärker, als Eliot angenommen hatte, und zwang ihn, den Weg, den sie gekommen waren, in raschem Tempo zurückzugehen.
»Ich hatte schon so viele Namen.« Louis warf einen Blick über die Schulter. »Alles, was du wissen musst, ist, dass ich dein Freund bin, vielleicht der einzige, der dein Wohlergehen über sein eigenes stellt.«
»Bitte erzählen Sie mir mehr. Ich bin ein guter Zuhörer.«
»Ich bin mir sicher, dass du auch über diese seltene Begabung verfügst.« Louis blieb stehen. »Aber leider sind wir da – weiter darf ich nicht gehen.«
Sie standen genau an dem Punkt, an dem Eliot ihn umgerannt hatte.
Hinter ihnen war die Dunkelheit irgendwie … noch dunkler. Als ob ein Teil von Del Sombra von einem Abgrund verschlungen worden sei.
Aber das war ja albern.
Straßenlaternen gingen über ihnen flackernd an und warfen Lichtflecken die Midway Avenue entlang bis zu den Oakwood Apartments. Doch auf der anderen Seite, Richtung Ringo’s , waren die Straßenlaternen kaputt. Alle.
»Es gibt so viel, was ich dir erzählen möchte.« Louis legte den Kopf schief, als würde er etwas aus weiter Entfernung hören. »Aber wir haben keine Zeit. Sie sind schon hinter dir her.«
Endlich jemand, der Eliot wirklich etwas erzählen wollte. »Dann sagen Sie es mir!«, flehte er. »Schnell.«
Louis presste die Lippen zusammen, bis sie zu einer einzigen weißen Linie zusammengeschweißt waren. »Vertraust du mir?«
Natürlich tat Eliot das. Er setzte dazu an, es Louis zu sagen, aber irgendetwas in ihm zögerte.
Er musterte Louis genau – zum ersten Mal überhaupt. Vorher waren seine Gesichtszüge von zerzaustem Haar und halb abrasierten Bartstoppeln verdeckt gewesen, aber jetzt sah er, dass Louis eine scharf geschnittene, spitze Nase hatte und dass seine Ohren abstanden … ein bisschen wie Eliots.
Konnten sie verwandt sein? Wie Onkel Henry – nur nicht auf der Seite der Familie, sondern auf der Seite seines Vaters?
»Vertraust du mir?«, wiederholte Louis.
Eliot wich einen winzigen Schritt zurück. »Nein … Ja. Tut mir leid, ich weiß es nicht.«
Louis nickte. »Ehrlichkeit zwischen uns ist das Beste. Immer. Folg deinem ersten Impuls.«
»Das will ich ja.«
»Na, na!« Louis’ Gesicht erhellte sich. »Eines kann ich dir sagen.« Er klopfte Eliot leicht auf die Mitte der Brust. »Hier drinnen bist du stark – trotz aller
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