Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
Zorn.
Fiona nahm nur verschwommen wahr, wie die linke Faust der Bestie hochschoss und sie mit der Wucht eines Presslufthammers an der Brust traf.
Ihre Welt explodierte in winzige schwarze Sterne. Sie flog durch die Luft, landete kopfüber auf der Straße, purzelte durch zersplittertes Glas und blieb erst liegen, als sie gegen die Stoßstange eines VW-Busses prallte.
Anders als bei der traumgleichen Verwirrung, die sie empfunden hatte, als der Maybach die Bestie überfahren und sich überschlagen hatte, blieb Fiona jetzt die ganze Zeit über vollkommen bei Bewusstsein. Sie spürte jedes Steinchen im Asphalt und jede Glasscherbe, als sie darüberrollte. Und sie spürte eindeutig den Aufprall an der Stoßstange aus massivem Metall.
Jeder Knochen in ihrem Körper hätte zu Staub zermahlen sein sollen. Doch alles, was sie spürte, war, dass ihr Blut schneller und heißer pulsierte und unstillbaren Zorn in jede einzelne Zelle pumpte.
Sie stand auf.
Wie nebenbei nahm sie wahr, dass ihr grauer Jogginganzug zwar zerfetzt und zerschlissen war, ihr Körper selbst aber keinen Kratzer abbekommen hatte.
Alles, was sie begriff, war, dass dieser Kampf noch lange nicht vorbei war.
Erneut ging sie auf das Ungeheuer zu.
Es bleckte die Reißzähne zu einem Grinsen und kicherte.
Was sie nur noch wütender machte.
Es hielt beide Flügel erhoben, bereit zum Angriff, und fixierte sie mit seinem feurigen Blick. »Spürst du, wie stark dein Blut ist? Du bist eine von uns. Geboren, um zu kämpfen, zu schneiden und zu töten. Davon kann ich dir so viel geben, wie du willst … oder du kommst mit mir. Dann bringe ich dir bei, wie du es schaffst, dich immer so zu fühlen.«
Fiona blieb stehen.
Sie hatte sich noch nie so stark gefühlt. Niemand würde je wieder in der Lage sein, ihr zu sagen, was sie tun sollte. Sie würde die Kontrolle über ihr Schicksal haben.
Dann erinnerte sie sich, dass sie sich durchaus schon einmal so gefühlt hatte.
Sie ließ die Arme sinken.
Als sie zum ersten Mal Pralinen aus dem herzförmigen Kasten gegessen hatte. Das hatte sich genauso gut angefühlt. Solcher Genuss, solche Kraft … in diesen Momenten hatte sie geglaubt, alles erreichen zu können.
Genau wie jetzt.
Aber wenn sie sich die ganze Zeit über so fühlte, was würde dann geschehen? Es würde keinen Robert, keinen Eliot und keine echte Familie für sie geben. Sie würde eine unter vielen in einem Rudel aus Mördern und Lügnern sein, umgeben von Scherben.
Eliot – sie hatte ihn völlig vergessen.
Sie entdeckte ihn, wie er davonhinkte. Doch er lief nicht vor der Bestie davon, sondern bewegte sich auf seine Geige zu, die ein Stück weit entfernt auf der Straße lag.
Fiona schob sich an den Rand der Midway Avenue. Das Ungeheuer verfolgte jede ihrer Bewegungen, trat aber nicht auf sie zu.
»Entscheide dich, Kind«, flüsterte es. »Du wirst mich nie bezwingen.«
Fiona bewegte sich weiter und drehte sich so, dass sie das Ungeheuer im Blick behielt, während sie rückwärts auf ihren Bruder zuging. Sie holte ihn ein und schlang ihm einen Arm um die Taille, um ihn zu stützen.
»Danke«, flüsterte Eliot.
Gemeinsam bewegten sie sich die letzten paar Schritte auf seine Geige zu.
»Vielleicht kann ich nicht gegen dich gewinnen«, sagte Fiona. »Aber wir können es.«
Das Ungeheuer starrte sie an und schüttelte den Kopf. »So sei es denn.«
Es schlug einmal, zweimal, dreimal mit den Flügeln. Wind umtoste es und wurde zu einer großen Spirale, die Papier, Glas und glühende Asche ansaugte. Die Dächer der nahe gelegenen Läden lösten sich in Wolken aus Schutt auf, der in Brand geriet und die Luft in eine Flammensäule verwandelte.
Fiona spürte Druck auf den Ohren. Der Wind zerrte an ihr und zog sie einen Schritt näher an den Strudel heran.
Eliot setzte den Bogen auf die Geige und spielte einen langen, kratzenden Ton.
Die Luft um sie herum beruhigte sich ein bisschen, genug, damit Fiona wieder Halt fand.
Das Ungeheuer brüllte und klappte die Flügel zusammen, zielte direkt auf sie.
Der Luftstrom kehrte sich um – zu einem glühend heißen Luftstoß in Orkanstärke, der Eliot und Fiona traf.
Eliot hielt sich die Hände vors Gesicht, als Glassplitter auf ihn einprasselten.
Fiona versuchte, vor ihren Bruder zu treten, um ihn zu beschützen, aber der Luftzug drängte sie zurück. Sie musste sich gegen den Wind stemmen, um auf den Beinen zu bleiben, aber selbst das war nicht genug; sie wurde hintenüber auf die Straße
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