Gemma
die Waffe ist doch gar nicht geladen.«
»Oh doch, sie ist geladen«, versicherte Gemma beängstigend ruhig.
»Aber das Pulver ist im Sturm nass geworden. Die Pistole ist
nutzlos.«
»Bist du bereit, dein Leben darauf zu
verwetten, Butch?« Gemmas blaue Augen waren starr auf sein Gesicht gerichtet.
»Ich werde nicht zulassen, dass du Bryce das antust, hörst du? Ich werde es
nicht zulassen, dass du ihn verstümmelst und zum Krüppel machst. Glaubst du, er
würde das wollen? Es muss einen anderen Weg geben!« Ihre anfänglich so ruhige
Stimme war immer schriller geworden, bis sie sich beinahe überschlug.
»Es gibt keinen anderen Weg. Meint Ihr, ich wünschte nicht, es
wäre so? Aber ich habe es oft genug erlebt. Wenn erst der Wundbrand einsetzt,
ist der Captain verloren. Wollt Ihr das?«
»Lass es mich versuchen, Butch. Nur zwei
Tage. Bitte, lass es mich versuchen«, flehte Gemma mit tränenerstickter Stimme.
Der Gedanke an Bryce mit nur einem Bein war ihr unerträglich. Würde er
dann jemals wieder stolz an Bord eines Schiffes stehen? Sie hatte von Männern
gehört, denen der Verlust von Gliedmaßen den Lebenswillen geraubt hatte. Würde
Bryce stark genug sein?
»Bitte«, wisperte sie und ließ langsam die Waffe sinken, als wäre
die Anstrengung, sie hochzuhalten, zu viel für sie. »Butch, bitte, um Bryce'
willen, lass mich versuchen, sein Bein zu retten.«
Butchs Blick richtete sich nachdenklich auf Bryce, bevor er knapp
nickte.
»Zwei Tage, Miss Gemma«, stimmte er zu. »Sollte sich sein Zustand
dann nicht bessern oder die Wunde brandig werden, schneiden wir das Bein ab.«
Aber Gemmas Aufmerksamkeit war bereits ganz und gar auf Bryce
gerichtet. Die Waffe entfiel ihrer Hand und polterte zu Boden, als sie zögernd näher an die Koje trat. Bryce' Gesicht war
nicht nur blass, sondern aschfahl, und als sie ihre Hand auf seine Stirn legte,
fühlte sie, wie kalt und klamm seine Haut war. Sein Brustkorb hob und senkte
sich stoßweise unter kurzen, flachen, aber regelmäßigen Atemzügen.
»Butch, lass Wasser aufsetzen. Ich brauche viel heißes Wasser.«
Sie sah ihn kurz an. »Abgekocht. Es muss abgekocht sein, hörst du.« Butch nickte und schickte zwei Männer
los, das Gewünschte zu holen, während Gemma sich vor der Koje auf den
Boden sinken ließ. Zunächst zögernd, dann mutiger, tastete sie über die Wunde. Noch immer trat Blut daraus hervor, aber
der Strom hatte merklich nachgelassen. Wie sollte sie vorgehen? Sie hatte vor
Jahren, als ihr Vater noch lebte, einiges über Medizin gelesen und danach auch
Brad einige Male geholfen, wenn sich eines der Pferde verletzt hatte, aber wie
verarztete man einen menschlichen Körper?
Ihre Finger strichen beruhigend über Bryce'
Stirn. Sie musste es schaffen. Sie musste einfach, denn wenn sie versagte,
würde Bryce sein Bein verlieren.
Entschlossen erhob sie sich und eilte hinüber zu einem der
Schränke. Die Männer, die einen dichtgedrängten Halbkreis um die Koje gebildet
hatten, wichen zurück. Gemma nahm einen Ballen Leinen, den sie noch nicht
verarbeitet hatte, dann ihr Nähzeug.
»Butch, ich brauche Rum, so stark wie möglich, und einer der
Männer soll sich die Hände waschen und dieses Leinen in Streifen schneiden.«
Gemma sah sich um. Die Männer starrten sie an, als hätten sie sie nie zuvor
gesehen.
»Und steht hier nicht rum und haltet Maulaffen feil! Jeder, der
hier nicht gebraucht wird, geht zurück auf seinen Posten! Und kümmert euch um
Tabby.«
»Aye, aye, Capt'n«, meinte Daniels grinsend
und trieb die anderen vor sich her aus der Kajüte. Er selbst kehrte kurz darauf
mit einem Krug Rum zurück. Gemma beachtete ihn nicht.
»Ich brauche mehr Licht. Butch, zünde alle Lampen an, die du
frnden kannst, und verteile sie um die Koje.« Butch beeilte sich, der Anweisung
Folge zu leisten.
Johnson und Mallory kehrten zurück, jeder mit einem Kessel
dampfenden Wassers bewaffnet. Ihr fragender Blick richtete sich auf Butch, aber
es war Gemma, die sie anwies, einen der Kessel auf dem Ofen, den anderen neben
der Koje abzustellen.
»Mallory, Johnson, wascht euch gründlich die Hände und übergießt
sie dann mit Rum. Daniels, Butch, ihr auch.« Erstaunte Blicke richteten sich
auf Gemma, aber die hatte bereits damit begonnen, einige Nähnadeln auszuwählen
und in ein Schälchen mit Rum zu legen.
Gemmas Magen hob sich, als sie daran dachte,
was sie im Begriff war zu tun. Sie, die sich erst vor zwei Wochen das erste
Mal ein Kleid genäht hatte, würde
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