Gemma
zurück und verschlief ansonsten die meiste Zeit des Tages.
Sie sah Bryce fast überhaupt nicht. Wenn sie
erwachte, war er bereits gegangen und kehrte erst bei Einbruch der Dunkelheit
in die Kajüte zurück. Er schien ihr so weit es ging aus dem Weg zu gehen. Wenn
er in sein Quartier zurückkam, sprach er kaum mit ihr, abgesehen von einigen
schroffen Befehlen oder um ihr zu sagen, sie solle den Mund halten, wenn sie
versuchte, ihn in irgendeine Art von Gespräch zu verwickeln.
Aber so wütend er sie auch machte, dass sie sich manchmal
wünschte, ihm ihre Fingernägel ins Gesicht zu krallen oder ihn zu schlagen, so fest
sie nur konnte, so sehr liebte sie es dennoch, ihn zu beobachten. Wenn er seine
Eintragungen ins Logbuch machte, sich auszog oder sich wusch oder was auch
immer gerade tat, er bot einen wunderbaren Anblick. Sie bemühte sich, ihn ihre
Aufmerksamkeit nicht spüren zu lassen, instinktiv wissend, dass er es nicht
begrüßen würde. Aber es gab nichts, was sie gegen ihre Faszination hätte tun
können.
Gemma versuchte sich davon zu überzeugen, dass es nur daran lag,
dass er die einzige Abwechslung bot, die sie, abgesehen von Tabby, den ganzen
Tag hatte, aber selbst für ihre eigenen Ohren, klang diese Erklärung mehr als
lahm. Sie wusste, dass sie sich an seine Anwesenheit gewöhnte – und hoffte
zugleich inständig, dass es nicht mehr war als das.
Nach drei Tagen des Eingesperrtseins in der Abgeschiedenheit von
Bryce' Quartier begann Gemma unruhig zu werden. Sie hatte in den letzten Tagen
so viel geschlafen, dass sie einfach nicht mehr schlafen konnte. Sich
hinzulegen und auszuruhen wurde einfach zu anstrengend und bereitete ihr
beinahe körperliche Qualen. Sie sehnte sich danach, etwas zu tun zu bekommen,
besonders nach der Arbeit, die sie in der Küche verrichtet hatte. Und selbst
davor hatte sie so gut wie niemals müßig herumgesessen – das hätte ihre Tante
niemals zugelassen – und in ihrer freien Zeit hatte sie entweder Brads
Gesellschaft oder ihre Bücher zum Lesen gehabt.
An Bücher zu denken und sich auf die Suche
danach zu begeben war eins. Gemma stürmte aus dem Bett, in das Tabby sie
verbannt hatte, bis sie vollständig wieder auf den Beinen war, und begann, die
Buchrücken zu überfliegen, die sie hinter den Glastüren des Bücherschrankes
sehen konnte. Da waren einige, die sehr interessant klangen, und Gemma war entzückt,
als sie den Band erspähte, den Godfroy Ranleigh ihr verweigert hatte.
Sie kuschelte sich gemütlich wieder ins Bett
und begann zu lesen. Schon bald war sie völlig in Caesars Bericht über den
Krieg in Frankreich vertieft. Tabby kam und ging, mal um den ohnehin
blitzsauberen Raum aufzuräumen, mal um ihr etwas zu essen zu bringen, mal um
einige schmutzige Sachen abzuholen.
Nachdem er bereits einige Male geschäftig herein- und hinausgeeilt
war, sah Gemma nicht mehr auf, als sie wieder hörte, wie die Tür geöffnet und
geschlossen wurde. Verdutzt folgten ihre Augen dem Buch aufwärts, als es ihr
aus den Händen genommen wurde.
Bryce überflog den Titel, dann sah er Gemma
an.
»Ich habe auch die Übersetzung«, teilte er ihr mit und gab ihr das
Buch zurück.
Gemma riss es ihm aus der Hand, suchte nach der Seite, die
verblättert war. »Vielen Dank, aber das ist nicht nötig«, fauchte sie ihn an,
wütend, dass auch er sie anscheinend für ein Spatzenhirn hielt, das nicht in
der Lage war, Caesar im Original zu begreifen. Ganz betont widmete sie sich
wieder dem Buch, Bryce, der noch immer drohend vor ihr aufragte, völlig
ignorierend. Die letzten Tage, die sie in seiner Kajüte verbracht hatte, hatte
er sie links liegen lassen, also würde sie den Teufel tun, ihm jetzt, wo ihm
anscheinend danach war, ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
Bryce sah sie finster an, aber dann zuckte er nur mit den
Schultern und wandte sich ab. Wenn sie etwas lesen wollte, das sie nicht
verstand – ihr Problem. Er hatte bessere Dinge zu tun. Er verstand sowieso
nicht, warum es ihn überhaupt interessierte, was sie tat.
Er verbrachte eine halbe Stunde mit dem Schreiben des Logbuches,
dann eine weitere mit den Berechnungen für den Kurs. Die ganze Zeit über warf
er verstohlene Blicke in Gemmas Richtung und fragte sich, ob sie tatsächlich
Latein lesen konnte oder nur zu stur war zuzugeben, dass sie kein Wort
verstand. Nein, beschloss er nach einer Weile, als er die Faszination in ihrem
Gesicht las, als sie schnell die Seiten überflog und weiterblätterte, sie
konnte es tatsächlich
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