Gemuender Blut
Haaren und zog ihren Duft ein. »Ich weiß, was gut für dich ist.« Er drehte sie herum, ohne seinen Griff zu lockern. Sie war gefangen in seinen Armen. Dann nickte er erneut der Frau zu, die sich mit der Schere in der Hand näherte.
»Du kannst jetzt anfangen.«
* * *
»Verdammt, verdammt, verdammt!« Ich schrie mein Lenkrad an und malträtierte es mit Faustschlägen. Wieder drehte ich den Schlüssel im Zündschloss. Es klackte, ansonsten tat sich nichts. »Warum tust du das?« Während ich mit dem Auto schimpfte, fiel mein Blick in den Rückspiegel. Das Grün meiner Iris leuchtete. Die Pupillen stachen wie kleine Nadelstiche darin hervor. Ich war nicht auf meinen Käfer sauer. Ich war auf mich selbst sauer. Und wenn ich es recht betrachtete, hatte ich auch allen Grund dazu.
»Warum tust du das, Ina? Warum setzt du deinen Job aufs Spiel? Ist es das wert?« Ich rückte näher an den Spiegel und runzelte die Stirn. »Du lässt dich von deinem Bruder weichklopfen und riskierst deine Karriere. Wie alt bist du?«
»Springt er nicht an, das alte Schätzchen?« Es war die Frau mit der Ballonmütze. Sie hielt einen Grünabfallsack in der Hand und starrte neugierig in mein Wagenfenster. Sie schmunzelte. »Aber manchmal hilft gutes Zureden ja.«
Anscheinend hatte ich mein Selbstgespräch nicht nur in Gedanken geführt. Ich räusperte mich und kurbelte das Fenster herunter.
»Es geht schon, danke schön.« Ich lächelte sie von meinem Autositz aus an. »Ich pflege ihn gut – meistens. Er hat meiner Mutter gehört. Sie hat ihn so grün angestrichen.«
»Ich hatte auch einmal so einen Käfer. Das ist aber schon lange her. Beige. Leider ist mir im Winter 82 jemand in die Seite gekracht, und dann …« Sie stemmte eine Hand in die Hüften und wischte sich mit der anderen die Haare aus der Stirn. »Aber ich glaube, ich hätte so oder so einen anderen Wagen heute. Man braucht schon eine Menge Enthusiasmus, um sich mit den Unannehmlichkeiten freiwillig herumzuschlagen.«
Ich nickte lächelnd. »Ich hänge an dem Wagen. Mein Vater hatte ihn nach dem Tod meiner Mutter in die Scheune meiner Großeltern gestellt und vergessen. Mehr oder minder.« Ich strich über das Armaturenbrett. »Seit ich meinen Führerschein habe und zum ersten Mal mit ihm über die Grenze nach Holland gefahren bin, klebe ich an dem Wagen. Und er an mir.«
»Dann passen Sie auch weiterhin gut auf.« Die Nachbarin packte ihre Harke und machte einem winzigen Unkraut den Garaus.
Während ich das Fenster hochkurbelte, fiel mir etwas ein.
»Sagen Sie, wo genau in Holland wohnen denn die Verwandten von Frau Berkel?«
»Nicht ihre, seine. Klaes’ Mutter lebt in einem kleinen Dorf in der Nähe von Heerlen, direkt hinter der Grenze.«
»Das ist ja jedes Mal eine ganz schöne Strecke hin und zurück.« Ich überschlug in Gedanken die Entfernung.
»Frau Ten Bolder ist in einem Altenheim untergebracht. Sie wollte nicht nach Gemünd kommen. Nicht nach Deutschland. Bei den alten Leuten sitzt das noch sehr tief.« Sie seufzte. »Obwohl Monika sie sehr herzlich darum gebeten hat.«
»Und jetzt besuchen die beiden Frau Ten Bolder jeden Montag. Das ist bestimmt auch eine gute Lösung.« Ich blinzelte in die tief stehende Sonne.
»Monika ist schon länger nicht mehr mitgefahren. Ich glaube, sie war ein bisschen enttäuscht.«
»War sie dann hier?« Meine Stimme musste überrascht geklungen haben, denn die Nachbarin ging deutlich auf Abstand und schüttelte den Kopf.
»Das weiß ich nicht.« Sie nickte in Richtung meiner Motorhaube, packte ihren Grünabfall und ging Richtung ihres Gartens. »Ich wünsche Ihnen gute Fahrt.«
»Danke.«
Der Motor sprang beim ersten Versuch an.
Warum hatte Jonas Prutschik mich belogen? Hatte er mich überhaupt belogen? Oder ging er nur davon aus, dass alles so wie immer gewesen war, ohne darüber nachzudenken?
Immerhin war er kein ständiger Gast im Haus seiner Mutter. Er studierte Sprachen in Köln, war finanziell unabhängig und kam nur alle drei Wochen einmal nach Gemünd. Wenn ich jetzt noch herausbekam, wo Monika Berkel war, wenn sie nicht zur holländischen Schwiegermutter fuhr, dann … ja was dann?
Ich sah in den Rückspiegel und erblickte wieder die Frau mit den grünen Augen. Ina Weinz, achtundvierzig, Kriminalkommissarin aus Köln, zurzeit beurlaubt auf eigenen Wunsch wegen Unfähigkeit. Bald würde ich mich entscheiden müssen. Ich konnte nicht ewig hier in der Eifel hocken, meine Wunden lecken und mich bemitleiden.
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