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Gemuender Blut

Gemuender Blut

Titel: Gemuender Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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wieder in meinem Bett, ich auf dem Sofa, so wie letzte Nacht.«
    »Okay«, grinste ich, »wie letzte Nacht.«
    Wortlos schnappte er meine Tasche und trug sie in sein Schlafzimmer. Das Bett war noch zerwühlt, so wie ich es am Morgen verlassen hatte. Das beruhigte mich. Er war also kein Ordnungsfanatiker. Er zog die Decken zurecht und klopfte auf die Kopfkissen.
    »Madame, Ihr Krankenlager.«
    »Danke.« Ich setzte mich auf die Kante und streifte die Schuhe ab. Als ich lag und meine Beine ausstreckte, seufzte ich auf. Die Belastung war doch größer, als ich gedacht hatte. Achtundvierzig war nicht achtundzwanzig. Und eine Wundrose war kein Kratzer.
    Steffen lehnte am Türrahmen und sah mir zu, wie ich mich und meinen Körper sortierte.
    »Möchtest du dich nicht zu mir legen? Einfach so?« Ich lächelte versuchsweise. »Nur schonen?«
    Er ging um das Bett herum, setzte sich auf die andere Seite und zog seinen Pulli und seine Socken aus. Aus dem Kopfkissen baute er einen kleinen Turm und drückte ihn an das Kopfteil. Er lehnte sich dagegen, streckte seinen Arm aus und lud mich mit einer Kopfbewegung ein, näher zu rücken.
    »Erzähl mir von dir, Ina.«
    »Was willst du wissen?«
    »Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, war ich zehn Jahre alt und du gerade auf dem Abflug in die große Stadt.«
    Er sah mich an. »Zwischen damals und jetzt liegen fast dreißig Jahre und ein paar graue Haare. Wo kommen die her?«
    »Von den schlechten Erfahrungen, die man macht.« Ich fasste in meine Haare und nestelte eine graue Strähne hervor. »Zum Glück sind es nicht so viele.«
    »Genug, um interessant zu wirken.«
    Mein Lachen klang härter, als ich es beabsichtigt hatte. »Interessant. Ja, so kann man es auch nennen.« Ich lehnte mich an ihn und fuhr mit einem Finger über seine Brust.
    »Du hast keine grauen Haare«, stellte ich fest. »Hast du keine schlechten Erfahrungen?«
    »Doch.« Er verstummte, und die Muskeln an seinem Kiefer traten hervor.
    Auch bei Steffen gab es Stellen, die wir besser unangetastet ließen. Eine Zeit lang. Bis jeder von uns den anderen an diese Orte in unseren Erinnerungen führen und sie ihm erschließen würde.
    »Erzähl mir von deiner Arbeit, Förster.« Ich stieß ihm den Finger in die Rippen. »Was machst du? Bäume zählen?«
    Er lachte.
    »Auch, aber nur manchmal. Wenn ich es mir recht überlege, eher selten.«
    »Kleine niedliche Bambis schießen?«
    »Auch eher selten. Aber manchmal.« Er schnappte nach meiner Hand und hielt sie fest. »Willst du es wirklich wissen?«
    Ich fühlte die Wärme, die meine Finger wie in einer Höhle geborgen hielten, und nickte.
    »Doch. Ja. Ich will wissen, womit du deine Tage verbringst, wenn du nicht auf Schützenfesten herumlungerst und Professoren zu Boden schickst.«
    Steffen ließ meine Hand wieder los und erzählte. Vom Naturpark mit seinen vielen Aufgaben, die auf den ersten Blick nichts mit dem üblichen Bild des Försters zu tun hatten. »Stell dir vor, du stehst mit einer fünften Klasse aus der Stadt mitten im Wald, und die fragen dich, wo denn hier die Toiletten sind!« Von den Schwierigkeiten mit den unterschiedlichen Ansichten zum Thema Umweltschutz, die immer wieder zu Konflikten führten. Von verirrten und uneinsichtigen Touristen.
    »Wir nennen es Besucherlenkung. Man sollte doch glauben, dass zweihundertvierzig Kilometer ausreichen zum Wandern. Für Radfahrer und Reiter gibt es extra ausgewiesene Strecken. Aber es gibt immer noch Leute, die glauben, sie wären die Herren der Wildnis.«
    Ich dachte an die weiten Flächen des ehemaligen Truppenübungsplatzes auf der Dreiborner Höhe. »Und ihr schafft das alles zu überwachen?«
    »Wir arbeiten dran!«
    Und dann erzählte er von Rothirschen, Rangertouren und der Öffnung der Burg Vogelsang als Museum.
    Ich hörte ihm zu. Ich sah ihm zu. Hörte die Begeisterung für das, was er tat, in seinen Worten. Sah die Funken in seinen Augen und die lebhaften Gesten, wenn er von der Verantwortung, der Zukunftsvision und der Schönheit sprach.
    »Wenn es Herbst wird, gehe ich mit dir in den Wald und zeige dir die Farben! Du wirst es lieben, Ina.«
    »Hey, ich kenne es! Ich bin hier groß geworden.«
    »Aber du hast es vergessen.«
    Ich nickte und schwieg. Er hatte recht. Ich hatte es vergessen.
    Der Wecker quälte mich aus Steffens Umarmung.
    Vorsichtig streifte ich eine lockere Hose über, fischte nach einem T-Shirt und schlüpfte in meine Sandalen. Seit ich vom Polizeidienst beurlaubt war, hatte ich

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