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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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hätten sich seither nicht an die historische Zeit anpassen können, weil dazu die Mühlen der Evolution schlechtweg zu langsam mahlten. Dies ist die Formel, auf der die Evolutionspsychologie aufbaut. Die Forscher Leda Cosmides und John Tooby haben es so ausgedrückt: »Unsere modernen Schädel beherbergen einen Geist aus der Steinzeit.«
    Just dieser Geist hat jedoch in jüngster Zeit Erkenntnisse gewonnen, welche die Annahme von der langsamen Evolution gründlich in Zweifel ziehen. Eher das Gegenteil scheint der Fall: Viele Facetten der menschlichen Psyche sind offenbar erst nach der Steinzeit entstanden.
    Das haben Molekularbiologen herausgefunden, als sie Veränderungen im Erbgut aufspürten und das Alter dieser Mutationen berechneten. Demnach hat die Evolution das menschliche Erbgut gerade in den vergangenen 10   000  Jahren viel stärker verändert als angenommen. [60]
    Die amerikanischen Anthropologen Henry Harpending und John Hawks haben 270  Menschen aus vier verschiedenen ethnischen Gruppen verglichen: Chinesen, Japaner, Nordeuropäer und Afrikaner aus Nigeria (Yoruba). [61] Mindestens sieben Prozent der Gene haben sich in den vergangenen 5000  Jahren verändert. Zum Beispiel hat sich die Fähigkeit, auch als Erwachsener Milchzucker (Lactose) zu verdauen, erst in den vergangenen 10   000 bis 6000  Jahren ausgebreitet. Mittlerweile tragen 95  Prozent aller Menschen in Norddeutschland die Mutation; davon unabhängig ist sie aber auch unter den Massai und dem Volk der Samen entstanden – eine durchaus rasante Evolution.
    In einer anderen Studie haben die Forscher die menschlichen Erbanlagen durchforstet. [62] Und auch hier ergab sich: Mehr als 300  Stellen in unserem Genom sind erst vor vergleichsweise kurzer Zeit verändert worden; eine dieser jüngeren Veränderungen macht resistent gegen das Lassa-Fieber, eine andere schützt vor Malaria; unter Nordeuropäern wiederum sind Gene für eine blasse Haut und blaue Augen evolviert.
    Interessanterweise sind die blauen Augen nicht deshalb entstanden, weil ein Gen für die Augenfarbe mutiert wäre. Vielmehr hat sich nur die Art und Weise verändert, wie ein bestimmtes Gen aktiviert wird. Einmal mehr kommt die Steuerung der Erbanlagen ins Spiel: Evolution läuft nicht nur ab, wenn sich die Gene selbst wandeln, sondern auch dann, wenn ihre Kontrolle verändert wird.
    Das könnte erklären, warum die Evolution gerade in den vergangenen 10   000  Jahren hundertmal schneller abgelaufen ist als jemals zuvor in der Geschichte der Menschwerdung. Das Tempo der menschlichen Evolution hat sich offenbar durch die abwechslungsreicher und vielfältiger werdende Umwelt beschleunigt. Mit Erfindung der Landwirtschaft und dem Aufkommen von größeren Siedlungen vor 10   000  Jahren bekamen es die Menschen auf einmal mit vielen neuen Dingen zu tun: mit Behausungen, ungewohnten Nahrungsmitteln und mit Krankheitserregern, die von Rindern, Schweinen und anderen domestizierten Tierarten übertragen wurden.
    Auch im Gehirn hat die sich schnell verändernde Umwelt zu verschiedenen Anpassungen geführt. So gehören zu jenen Genen, die evolutionär gesehen »jung« sind, auch einige, die den Zuckerstoffwechsel im Gehirn steuern. Die schnell ablaufenden Veränderungen des menschlichen Geistes werden die Evolutionspsychologen wohl niemals zu fassen kriegen. Unser Gehirn hat sich vom biologischen Erbe offenbar schon vor einiger Zeit frei gemacht. So weit sind Seele und Verhalten evolviert, dass sie sich um den biologischen Befehl zur Fortpflanzung nicht weiter scheren.
    Schein-Entdeckungen amüsieren das Publikum
    Der Abschnitt Xq 28 auf dem Geschlechtschromosom X war mal richtig berühmt. Das »Schwulen-Gen«, verkündete der amerikanische Molekularbiologe Dean Hamer Anfang der 90 er Jahre, liege auf diesem Abschnitt des Erbguts. Die vermeintliche Entdeckung einer biologischen Grundlage der Homosexualität sorgte damals für Debatten in der ganzen Welt. Die einen begrüßten die triumphale Meldung der Biologen. Wenn das Schwulsein angeboren sei, würden es alle Teile der Gesellschaft endlich als naturgegeben akzeptieren: Mehr Verständnis für homosexuelle Männer werde die Folge sein. Andere fürchteten eine verstärkte Diskriminierung von Schwulen. Jetzt, da der »Defekt« entdeckt sei, könne man die Betroffenen per Gentest ausfindig machen und versuchen, sie zu behandeln. Mit Leidenschaft und Eifer meldeten sich Sexualwissenschaftler, Soziologen und Aktivisten zu Wort;

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