Gene sind kein Schicksal
Journalisten widmeten dem scheinbar sensationellen Befund seitenlange Artikel – viel Lärm um nichts. Xq 28 umfasst vier Millionen Basenpaare mit einigen Genen – von dem postulierten Schwulen-Gen allerdings fand sich trotz intensivster Suche keine Spur. Die beharrlichen Versuche, die sexuellen Vorlieben von Männern und auch Frauen an bestimmten Genen festzumachen, dürfen als gescheitert bezeichnet werden. Kleinlaut erklären die Forscher: Vermutlich sind ganz viele Gene in einer Nebenrolle involviert, und hinzu kommen ganz, ganz viele Umwelteinflüsse. Man könnte den aktuellen Stand der Forschung auch so ausdrücken: Man weiß nicht, wie sich die sexuellen Vorlieben ausprägen.
Auf der Suche nach dem Schwulen-Gen haben sich die beteiligten Forscher zutiefst blamiert. Gleichwohl ist die Gen-Gläubigkeit nicht zu erschüttern. Das mag dem kollektiven Kurzzeitgedächtnis geschuldet sein, der Sehnsucht nach einfachen Erklärungen oder dem Unterhaltungswert der immer neuen Funde, der ja nicht zu bestreiten ist: Einer neueren Studie zufolge sprechen Mäuse mit einem ausgeschalteten Gen namens
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besonders auf Rauschgift an – und schon ist vom »Kokain-Gen« die Rede. In Wahrheit aber ist die Gemengelage unklar: Die Hälfte der Süchtigen hat durchaus ein intaktes
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-Gen. Und beinahe die Hälfte der Nichtsüchtigen wiederum trägt das vermeintliche Gen für Sucht. In einem anderen Experiment hing ein Erbfaktor namens
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mit besonders rücksichtslosem Verhalten zusammen. Prompt wurde spekuliert, dieses »Diktator-Gen« erkläre die Gräueltaten von Adolf Hitler. Allerdings schrieben andere Studien dem
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ganz andere Eigenschaften zu: musikalische Begabung, Talent zum Tanzen, Vorlieben für bestimmte Nahrungsmittel und das Vermögen, mit dem Ehepartner auszukommen. [63]
Einen Sturm der Entrüstung schließlich hat der neuseeländische Epidemiologe Rod Lea entfacht, als er die Entdeckung eines »Krieger-Gens« verkündete. Mit einer bestimmen Variante des
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-Gens erklärte er das aggressive Verhalten der Maori, der Ureinwohner Neuseelands. Mehr noch: Auch die Probleme der Maori in der modernen Gesellschaft – ein Hang zum Glücksspiel und Drogensucht – brachte Lea mit dem Gen in Verbindung. Rätselhaft allerdings bleibt, warum der Forscher die angebliche Wirkung des Gens überhaupt auf die Maori zuschneidet: 60 Prozent aller Asiaten tragen schließlich das angebliche »Krieger-Gen«; unter den Europäern dürfte der Anteil bei 40 Prozent liegen.
In den 80 er Jahren meldeten Forscher den sensationellen Fund eines Gens für Schizophrenie, das sie in Familien in Island und Großbritannien gefunden haben wollten. [64] Ihre Behauptung hat sich längst als falsch erwiesen, doch keiner erinnert sich mehr an diese Pleite. Inzwischen gibt es angeblich eine neue Entdeckung: Diesmal soll es ein Erbfaktor namens Neuregulin- 1 sein, der mit der Schizophrenie zusammenhängt – man darf gespannt sein, wie man in zehn Jahren darüber urteilen wird.
Abbildung 6 :
Soziale Einflüsse steuern Gene im Gehirn
Mit ihren Schein-Entdeckungen unterhalten die Verhaltensgenetiker die Öffentlichkeit seit Jahren. Das Verhalten des Menschen versuchen sie ganz simpel zu erklären. Schüchtern, cholerisch, melancholisch – alles in die Wiege gelegt. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, ein bestimmtes Gen präge unweigerlich eine bestimmte Facette unserer Persönlichkeit. Und aus diesem Grund könnten Menschen sich nicht ändern.
Nebenbuhler wirken auf das Gehirn ein
Doch studiert man genau, was Untersuchungen an Tausenden von Geschwistern, Zwillingen und adoptierten Kindern hervorgebracht haben, dann ergeben sich viele offene Fragen. Die genetischen Mechanismen, die hinter der Persönlichkeit stehen, sind »eines der größten Rätsel der Verhaltensforschung«. [65] Unstrittig ist immerhin: Die mit beharrlicher Regelmäßigkeit vermeldeten »Verhaltensgene« gibt es so gar nicht, sondern viele genetische Mechanismen und kulturelle Faktoren kommen zusammen, wenn sich vermeintliche Anlagen für Selbstbewusstsein, Religiosität oder etwa Ehrgeiz ausprägen.
Und vor allem: Der Einfluss der Gene auf das Verhalten ist keine Einbahnstraße. Es gibt auch einen Pfeil, der von außen nach innen zeigt: Soziale Einflüsse wirken auf unsere Gene und verändern das Gehirn und damit das Verhalten. Erstmals haben Forscher das bei Singvögeln entdeckt. Wenn ein Zebrafink den Gesang eines anderen Männchens
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