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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Rosenhecken; doch hatte der Künstler mit lässigem Schwung eine komplizierte Hieroglyphe darüber hingeworfen und mit einer Anzahl kleiner grüner Kreise bedeckt.
    »Was soll denn das sein?«
    »Der Präsident geht spazieren«, teilte Morkowin mit. »Geschenk von Asadowski, zu Repräsentationszwecken. Siehst du dort vorn den Schlips auf dem Drahtgitter? Da ist auch noch irgendwo ein Abzeichen – direkt in einer Blüte, man muß schon genau hinsehen. Künstlerische Freiheit.«
    Tatarski riß die Augen von dem Bild los und bemerkte nun, daß sie nicht allein waren. Am anderen Ende des weiträumigen Kabinetts standen drei flache Monitore mit ergonomisch ausgefeilten Tastaturen auf einer Konsole; von ihr liefen Kabel in eine mit Kork verkleidete Wand hinein. Vor einem der Monitore saß ein junger Mann mit Pferdeschwanz, der mit routinierten Bewegungen die Maus über ein schlichtes graues Pad führte. Die Ohren des Jungen waren von mindestens zehn kleinen Ringen durchstochen; weitere zwei zierten den linken Nasenflügel. Tatarski mußte an Morkowins Ratschlag denken, sich mit etwas Spitzem zu geißeln, wenn der Gedanke aufkam, die allgemeine Ordnung der Dinge könnte eines Fundaments entbehren. Man durfte vermuten, daß dies hier kein Fall von Piercing-Kult war, sondern eine Vorsichtsmaßnahme: Der junge Mann befand sich in so unmittelbarer Nähe zum technischen Epizentrum des Geschehens, daß er es vorzog, die Nadeln gleich steckenzulassen.
    Morkowin hatte hinter dem Schreibtisch Platz genommen und erteilte eine kurze Anweisung in den Hörer des weißen Telefons.
    »Dein Koautor kommt gleich«, ließ er Tatarski wissen. »Du bist hier zum erstenmal, nicht wahr? Das dort hinten sind die Terminals, die auf den zentralen Render gehen. Und der da sitzt, das ist Semjon Welin, unser Chefdesigner. Kannst du dir vorstellen, was auf seinen Schultern lastet?«
    Respektvoll näherte sich Tatarski dem Jungen am Computer und schaute auf dessen Bildschirm, wo ein feines Netz aus blauen Linien flimmerte. Die Linien fügten sich zum Drahtgitter zweier Hände, die einander mit den Mittelfingern berührten und ein Dach bildeten. Langsam drehten sie sich um eine unsichtbare vertikale Achse. Ohne recht zu wissen, warum, fühlte Tatarski sich an ein Low-Budget-Fantasy-Movie der achtziger Jahre erinnert. Der Junge mit dem Pferdeschwanz schob die Maus über das Pad, stieß mit dem Cursor in diverse, am oberen Bildschirmrand eingeblendete Menüleisten, und die Hände veränderten ihren Neigungswinkel.
    »Ich hab es doch gleich gesagt – man hätte den Goldenen Schnitt vorgeben sollen!« sagte er zu Morkowin.
    »Wovon sprichst du?«
    »Vom Winkel zwischen den Handflächen. Er hätte sein müssen wie bei den ägyptischen Pyramiden. Das erzeugt beim Betrachter ein instinktives Gefühl von Harmonie, Glück und Frieden.«
    »Wieso befaßt du dich noch mit dem alten Kram? Das Wahlbündnis Unser Haus Rußland hat keine Chance mehr.«
    »Das Wahlbündnis Unser Haus Rußland geht mir am Arsch vorbei. Mir tut es leid um die schöne Idee mit dem Dach. Früher oder später kommen wir sowieso darauf zurück.«
    »Von mir aus. Programmiere deinen Goldenen Schnitt. Soll der Plebs ein bißchen Frieden haben. Nur kein Wort davon in der Begleitdokumentation.«
    »Warum nicht?«
    »Darum nicht. Du und ich, wir wissen, was das ist, der Goldene Schnitt. Aber in der Buchhaltung«, Morkowin deutete mit dem Kopf zur Decke, »können sie garantiert nichts damit anfangen und lassen es womöglich zurückgehen. Goldener Schnitt, denken die, viel zu teuer, geht auch ohne Gold. Unser Haus Rußland muß jetzt sparen.«
    »Alles klar«, sagte der Junge. »Dann gebe ich nur schnell die Winkel ein. Ruf Alla an. Sie soll mich auf den Super-User heben.«
    Morkowin griff nach dem roten Telefon.
    »Alla? Morkowin aus der Analverdrängung. Sei so lieb und heb mal Terminal fünf auf die Root. Wir haben eine kleine kosmetische Reparatur. Ist gut.«
    Er legte die flache Hand auf die Glasplatte des merkwürdigen Kästchens; ein greller Lichtstreifen lief darüber hinweg.
    »Geritzt«, sagte Morkowin. »Nein, warte mal, Semjon will noch was von dir.«
    Der junge Mann übernahm den Hörer.
    »Hi, Alla. Kannst du mir mal Tschernomyrdins Haarfülle raussuchen? Wie? Nein, darum geht‘s ja gerade, ich brauche es für die Druckerei. Damit die mir gleich ein Farbproof machen. Ja, ich schreibe mit: zwounddreißig hpi, Farbe: Ray-Ban-black, Kräuselung: null drei. Bin ich drauf? Danke. Das

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