Generation P
Tatarski an das ausgerissene Auge eines Riesenmonsters denken.
»Panasonic präsentiert Ihnen eine revolutionäre Erfindung auf dem Gebiet der Fernsehtechnik«, verkündete die kleine Japanerin. »Den ersten Fernseher mit Spracherkennungssystem! Er versteht alle Sprachen der Welt – sogar Russisch! Passen Sie auf, ich werde jetzt etwas zu ihm sagen: Pa-na-so-niiiiih!«
Der alte Mann neben ihr hatte urplötzlich sein Schwert aus der Scheide gezogen, schwang es wild durch die Luft, brüllte etwas (Untertitel: Nieder mit der perversen neuen Welt! Es lebe der Kaiser!) und rückte auf das Fräulein zu. Im nächsten Moment kamen Dutzende Weißkittel aus den Kulissen auf die Bühne gesprungen. Herr Yohohori-san änderte die Richtung, kam nun brüllend auf die Kamera zugesprungen und ließ sein Schwert auf die Linse niedergehen. Die Leinwand wurde schwarz. Dann eine tiefe Stimme:
Panasonic. Der letzte Schrei.
Eine Sekunde lang Stille. Und dann, wie aus tiefster Tiefe:
»Wooow!!!«
Ein Telefon trillerte.
»Hallo!« sagte Asadowskis Stimme im Dunklen. »Was? Sofort! Ich fliege!«
Asadowski sprang auf und verdeckte dabei einen Teil der Leinwand.
»Juhu!« jauchzte er. »Ich schätze, für Rostropowitsch fällt heute ein neuer Orden ab. Gleich kommt ein Anruf aus Amerika. Ich habe ihnen gestern gefaxt, daß die Demokratie in Gefahr ist, und sie gebeten, die Frequenz um zweihundert zu erhöhen. Die Typen scheinen endlich gemerkt zu haben, daß wir und sie in einem Boot sitzen.«
Tatarski hatte plötzlich den Eindruck, als wäre Asadowskis Schatten auf der Leinwand ein Bestandteil des Videos – so wie man sich an die schwarzen Silhouetten in Raubkopien gewöhnt hatte, die direkt von der Kinoleinwand abgekupfert wurden. Sie rührten von den Zuschauern her, die vorzeitig den Saal verließen, und hießen bei den Betreibern der Untergrund-Videotheken Flitzer; für Tatarski waren sie etwas wie ein Gütesiegel, denn der verdrängende Wow!-Faktor trieb die Leute vor allem aus den guten Filmen, weshalb er sich am liebsten Filme ausborgte, in denen es viele Flitzer gab. Um so mehr erschreckte ihn jetzt der Gedanke, wie schnell man doch aus dem leibhaftigen Leben in eine Flitzerexistenz wechseln konnte – und es vielleicht nicht einmal merkte. Der Gedanke war neu für ihn, und er hatte einstweilen wenig Zeit, sich in ihm zurechtzufinden. Die Andeutung eines Tangos trällernd, tänzelte Asadowski zum Rand der Leinwand und verschwand.
Der Anfang des nächsten Clips war traditioneller gehalten. Um einen großen Kamin, der in eine extravagante Spiegelwand eingelassen war, saß eine Familie beisammen: Vater, Mutter, Kind, Katze und Oma mit Strickstrumpf Sie blickten in das Feuer, das hinter dem Kamingitter loderte, und vollführten seltsam zackige, grotesk anmutende Bewegungen: Die Oma strickte, die Mutter nagte an einem Stück Pizza, das Mädchen streichelte die Katze, der Vater trank aus einem Glas Bier. Die Kamera fuhr um sie herum und plötzlich mitten in die Spiegelwand hinein. Von der anderen Seite war die Wand durchsichtig wie Glas; als die Kamerafahrt beendet war, sah man die Familie hinter Gittern und mitten im Kaminfeuer sitzen. Eine Orgel begann düster und inbrünstig zu spielen, die Kamera fuhr zurück, und aus der gläsernen Wand wurde der Flachbildschirm eines Fernsehers mit Hi-Fi-Boxen zu beiden Seiten und den verschlungenen Buchstaben Tophetissimo am schwarzen Gehäuse. Auf dem Bildschirm prasselte das Feuer, worin vier schwarze Körper zappelten, ein Gitter befand sich davor. Die Orgel verrauschte, und es ertönte eine servile Sprecherstimme:
»Sie hatten geglaubt, daß in der Flachbildröhre Black Trinitron ein Vakuum herrscht? Irrtum! Da brennt ein Feuer, das Ihnen das Herz wärmt.«
Sony Tophetissimo. If‘s a sin.
Tatarski verstand wenig von dem, was er da sah; rein mechanisch kam ihm nur der Gedanke, daß man die Konversionsquote spürbar hätte steigern können, indem man den englischen Slogan durch einen Sprachmix ersetzte: It’s a Sünd.
»Was war das denn?« fragte er, als das Licht anging. »Nach Werbung sah es nicht gerade aus.«
Morkowin lächelte zufrieden.
»Genau das ist der Kick – daß es nicht so aussieht«, sagte er. »Medientheoretisch gesprochen, handelt es sich um eine neue Werbetechnik, die auf die zunehmende Marktverdrossenheit des Menschen mit den Mitteln des Marktes reagiert. Einfacher gesagt, der Zuschauer soll die Ahnung vermittelt bekommen, daß es irgendwo auf der Welt –
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