Genesis Secret
helle Sonnenlicht fiel in dünnen Strahlen durch die Löcher im Wellblechdach. In dunklen Ecken sprühten Messerschleifer goldene Funken in die von Gewürzduft erfüllte Luft. Und inmitten von alldem war eine uralte authentische Karawanserei: ein kühler, geräumiger Hof mit Cafetischen und herrlichen Steinarkaden. Ein Ort für Handel und Klatsch, ein Ort, an dem Kaufleute schon seit tausend Jahren um Seide schacherten und Männer ihre Kinder verheirateten.
Rob trat auf den belebten offenen Platz hinaus und ließ den Blick über die zahlreichen Tische und Menschen wandern. Christine war nicht schwer zu entdecken. Sie war die einzige Frau.
Ihre Miene wirkte gequält. Rob setzte sich ihr gegenüber. Sie sah ihm tief in die Augen, als suchte sie dort etwas. Rob hatte keine Ahnung, was. Sie schwieg; so lange, dass es peinlich wurde.
»Hör zu, Christine, es tut mir … es tut mir aufrichtig leid wegen Franz. Ich weiß, wie nah ihr euch gestanden habt, und …«
»Bitte. Nicht.« Christine senkte den Blick. Sie unterdrückte Tränen oder Wut oder sonst etwas. »Genug damit. Das ist sehr nett von dir. Aber genug.« Sie blickte wieder auf, und Rob wurde sich unbehaglich deutlich ihrer topasbraunen Augen bewusst. Tief und sinnlich. Schön und voller Tränen. Sie räusperte sich. Dann sagte sie: »Ich glaube, Franz wurde ermordet.«
»Was?«
»Ich war dabei, Rob. Ich habe alles mitbekommen. Es kam zu einem Streit.«
Das klatschende Flattern auffliegender Tauben erfüllte die Karawanserei. Auf zinnoberroten Teppichen saßen Mokka trinkende Männer. Rob sah wieder Christine an. »Bloß weil es Streit gab, muss es nicht gleich ein Mord gewesen sein.«
»Ich habe es gesehen, Rob. Es war Absicht. Sie haben ihn gestoßen.«
»Mein Gott!«
»Allerdings. Und es war kein Versehen: Sie haben ihn ganz gezielt auf diese Stange gestoßen.«
Rob runzelte die Stirn. »Warst du schon bei der Polizei?«
Christine wedelte den Gedanken fort wie eine lästige Fliege. »Ja. Sie wollen nichts davon hören.«
»Bist du sicher?«
»Ich wurde praktisch gewaltsam aus der Polizeiwache abgeführt. Eine Frau!«
»Diese Wichser.«
»Schon möglich.« Christine rang sich ein Lächeln ab. »Aber für sie ist es auch nicht einfach. Die Grabungsarbeiter sind Kurden, die Polizisten sind Türken. Die politische Lage ist sehr angespannt. Und gestern kam es in Diyarbakir zu einem Bombenanschlag.«
»Ich habe es im Fernsehen gesehen.«
»Deshalb kann man nicht anrücken und ein paar Kurden wegen Mordes verhaften … Im Moment ist das nicht so einfach, wirklich nicht. O Gott …« Sie ließ die Stirn auf ihre verschränkten Arme sinken.
Rob fragte sich, ob sie weinte. Hinter ihr, über den Arkaden der Karawanserei, erhob sich ein Minarett. An seiner Spitze waren große schwarze Lautsprecher angebracht, aber im Augenblick schwiegen sie.
Christine fasste sich und richtete sich wieder auf. »Ich will es wissen, ich will… der Sache auf den Grund gehen.«
»Wie meinst du das?«
»Ich will alles wissen. Warum er nachts gegraben hat, warum sie ihn umbringen wollten. Franz war mein Freund. Deshalb möchte ich wissen, warum er gestorben ist. Würdest du mitkommen? Ich will nach Göbekli rausfahren und mir Franz’ Aufzeichnungen ansehen, seine ganzen Unterlagen, alles …«
»Aber das haben sie doch sicher mitgenommen? Die türkische Polizei?«
»Die wichtigen Sachen hat er versteckt«, sagte Christine. »Aber ich weiß, wo. In einem kleinen Schrank in seiner Hütte auf dem Grabungsgelände.« Sie beugte sich vor, als wollte sie etwas beichten. »Rob, wir müssen einbrechen. Und die Sachen stehlen.«
13
Der Flug über die Irische See auf die Isle of Man war unruhig, aber kurz. In der Ankunftshalle des Ronaldsway Airport wurden Forrester und Boijer vom Deputy Chief Constable und einem Sergeant in Uniform in Empfang genommen. Forrester lächelte und schüttelte Hände. Die vier Polizisten machten sich miteinander bekannt: Der DCC hieß Hayden.
Als sie auf den Parkplatz hinausgingen, tauschten Forrester und Boijer einen Blick - und ein kurzes wissendes Nicken über den eigenartigen weißen Helm des Manx-Sergeants. Dergleichen kannte man bei ihnen nicht.
Forrester wusste bereits vom Sonderstatus der Isle of Man. Als Kronkolonie mit eigenem Parlament, eigener Fahne, einem Erbe alter Wikingertraditionen und einer eigenen selbständigen Polizei war die Isle of Man offiziell keineswegs Teil des Vereinten Königreichs. Sie hatten erst vor wenigen
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