Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
nicht auf.
Eine weitere Beobachtung hatte ihnen gezeigt, dass die Flügelfedern wie Ventile wirkten. Hoben sich die Schwingen, so ließen die Federn den Wind durch, schlugen sie abwärts, waren sie dicht. Nur so konnte ein Vogel aufsteigen. Also bauten sie sich aus Holzleisten, Tuch und Gänsefedern ein Flügelpaar. Dazu hatten sie sämtliche im Ort verfügbaren Federn aufgekauft. Doch es half alles nichts. Wie angekettet blieben sie am Boden.
In der Schule zeigten sich die beiden Brüder ehrgeizig. Otto schloss 1866 die rein technisch ausgerichtete Potsdamer Gewerbeschule mit dem besten jemals dort abgelegten Abitur ab. Im selben Jahr begann Gustav in Anklam eine zweijährige Maurerlehre.
Für Otto stand fest, was er werden wollte: Techniker. Und dafür boten sich in dem industriell aufstrebenden Berlin jede Menge Möglichkeiten. Als Einstieg wählte er ein einjähriges Praktikum bei dem Maschinenunternehmen Schwarzkopff, das vor allem Güterzuglokomotiven baute. Hier verdiente sich Otto seine Sporen im Konstruktionsbüro. Privat konnte er sich fast nichts leisten, so lebte er als Schlafgänger, das heißt er teilte sich ein Bett mit einem Droschken- und einem Rollkutscher, die die Schlafstelle zu unterschiedlichen Zeiten benötigten. Zur damaligen Zeit gab es in Berlin 50000 Schlafburschen, rund jede sechste Mietwohnung war mit ihnen belegt.
Diese widrigen Umstände hinderten Otto nicht daran, sich als »umsichtiger, fleißiger und zuverlässiger Arbeiter« zu bewähren, wie es in seinem Abgangszeugnis hieß. Damit war der Weg frei für eine Aufnahme in die Berliner Gewerbeakademie, wo er über drei Jahre hinweg eine erstklassige Ausbildung in Mathematik, Chemie, Mechanik und Maschinenbau erhielt. Trotz des erheblichen Lernaufwands fand Otto noch Zeit, um sich seinem Traum vom Fliegen zu widmen. Da sein Bruder Gustav mittlerweile auch nach Berlin gezogen war und an der Bauakademie studierte, war das Dreamteam wieder vereint.
Sie wohnten – oder besser gesagt hausten – in einer kleinen Dachwohnung und bauten sich einen neuen Flügelschlagapparat zusammen. Nun verwendeten sie leichtes Palisanderholz, ersetzten die Federn durch Tüll und kombinierten sogar drei Flügelpaare, die sich zudem über einen Pedalantrieb durch kräftiges Strecken und Anziehen der Beine auf und ab bewegen ließen. Dieses Gerät hängten sie an einer Seilwinde auf, die aus dem Giebel eines Wirtschaftsgebäudes herausragte, und glichen das Gewicht des Flugapparates mit einem Gegengewicht aus. Damit stellten sie sicher, dass sie mit kräftigem Flügelschlag etwa das halbe Eigengewicht hochheben konnten. Zum Fliegen reichte das natürlich nicht.
Als Ottos Kommilitonen von den Versuchen Wind bekamen, machten sie sich natürlich über ihn lustig. Auch der namhafte Ingenieur und Dozent an der Gewerbeakademie, Franz Reuleaux, mahnte streng dazu, bloß kein Geld darin zu investieren – was die beiden Brüder indes nicht weiter interessierte.
Im Juli 1870, nur eine Woche vor Ottos Abschluss, unterbrach ein bedeutendes Ereignis der Weltgeschichte den Schaffensdrang der beiden Brüder: Frankreich erklärte Preußen den Krieg, dem Otto sich nicht entziehen konnte, während Gustav wegen eines Ohrenleidens zurückgestellt wurde. Die preußischen Truppen eroberten rasch Elsass und Lothringen undversammelten sich schließlich zur Belagerung von Paris. Otto war bis dahin ohne Gefechte durchgekommen und beschwerte sich in Briefen über Langeweile – der Glückliche. Eine interessante Abwechslung boten indes Ballone, mit denen Nachrichten und vereinzelt auch Personen aus der belagerten Hauptstadt herauskamen. Historiker schätzen, dass während der viermonatigen Belagerung insgesamt 66 Ballone, drei Millionen Briefe und 168 Menschen der Stadt entkamen. Doch Otto wurde hierbei klar, dass Ballone nicht die Zukunft der Luftfahrt sein würden, flogen sie doch nur dorthin, wohin der Wind sie wehte.
Elf Monate nach seiner Einberufung kehrte Otto nach Berlin zurück. Dank seiner exzellenten Ausbildung fand er rasch eine Stelle als Ingenieur in einer Maschinenfabrik von Emil Rathenau, der 17 Jahre später die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, kurz AEG, gründete. Auch Gustav bekam Arbeit als Bauleiter, so dass es den beiden nun endlich gut ging. Unweit der Friedrichstraße mieteten sie sich eine Wohnung, in der wenig später auch die Schwester Marie und ihre Großmutter einzogen, nachdem die Mutter in Anklam an einer Lungenentzündung gestorben
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