Gentlemen, wir leben am Abgrund
dieses permanente und gleichgültige Brummen in der Halle. Die Leute hier applaudieren, wenn es etwas zu applaudieren gibt, und sie pfeifen, wenn etwas miserabel läuft. In der Bonner Halle kann man das Spiel hören«, sagte Luka Pavi ć evi ć im Bonner Weinlokal und imitierte das Wogen des Spiels, hin und her, das Raunen und Brüllen. Ich begriff, dass Luka Pavi ć evi ć das Spiel liebte. Nichtwie einen Wein, nicht wie ein Genießer. Rauer. »In Bonn können die Zuschauer ein Basketballspiel lesen. Sie verstehen es.«
Professor Mika hatte die Weinkarte verstanden und bestellte eine Flasche Barbaresco, seine Brille fiel auf den Tisch. Der Kellner fragte nach dem Spiel morgen. Luka kam auf seine Spielerkarriere zu sprechen: wie er am College in Utah spielte, weil seine Eltern wollten, dass er die Welt kennenlernte. Wie er nach Split zu Jugoplastika zurückkehrte. Wie er später dann in Finnland gespielt habe, in Frankreich und Polen.
Am 11. September 2001 habe er für ein polnisches Team gespielt, er erinnere sich genau, er sei aus einem Bus ausgestiegen und hätte die Nachricht gehört. Kurz danach sei er Trainer geworden. Luka lachte jetzt, er gestikulierte und verschüttete ein wenig Wein, seine Augen leuchteten, er sprach von Basketball wie von der Liebe, manchmal begeistert, manchmal pragmatisch, manchmal verzweifelt.
»Schon als Spieler habe ich über Methoden und Strukturen nachgedacht. Wie man das Spiel richtig spielt. Und eines Tages habe ich mich verletzt. Der Rücken. Wie bei den meisten mit 33, 34. Rücken oder Knie. Ich musste drei Wochen lang sitzen und habe meine Ideen aufgeschrieben. Ich habe aufgeschrieben, was ich wusste und was ich lernen würde. Meine Spielzüge, meine Regeln, mein Training. Wie man mit den Spielern umgeht, mit dem Management und mit den Agenten. Mit der Presse. Mit Sponsoren. Wie man Schiedsrichter behandelt. Die Liga. Präsidenten und Offizielle. Was man erwartet und was man bekommt. Wie man reist und wo man wohnt. Die Körper. Das Benehmen. Wie man die Dinge kontrolliert, wie man sich schützt – sein Team, seine Arbeit, seine Familie und sich selbst. Du brauchst Disziplin, Ordnung und Organisation auf demselben Niveau. Das alles gehört dazu, das alles ist das Spiel. Nichts steht fest, alles ist im Fluss. Basketball ist ein Spiel auf verschiedenen Levels. Wenn du ein Niveau erreichen willst, musst du in allen Bereichen gut sein. Talent allein reicht nicht.« Wenn man das Spiel richtig spiele, gewinne man 85 Prozent aller Spiele, sagte Pavi ć evi ć . »If you play the proper game.«
Das Team war jetzt seit zwei Monaten zusammen. Yassin Idbihi war ins Trainingslager nachgereist. Bryce Taylor wartete in Berlin. Nach der Weltmeisterschaft war auch Lucca Staiger dazugestoßen. Anfang September hatte man zur inoffiziellen Saisoneröffnung vor knapp 7000 Zuschauern gegen Trier mit seinem neuen Trainer, der Alba-Legende Henrik Rödl, gespielt. Sein Ehrentrikot mit der Nummer 4 wurde im Jubel an die Berliner Hallendecke gehängt. Die Saison begann mit einem Ballverlust von Tadija Dragi ć evi ć und einem 65:59-Sieg.
Ich hatte das Spiel mit dem Sportpsychologen angesehen. Er hatte sich Notizen zu Pavi ć evi ć s Körpersprache und nonverbaler Kommunikation an der Seitenlinie gemacht (»Luka arbeitet an sich«, sagte er). Bei der anschließenden Teamvorstellung in der gläsernen Lobby der O2 World hatte Patrick Femerling angekündigt, auch noch im Alter von 43 spielen zu wollen. Konstantin Lwowsky wurde bejubelt, weil er sich im Trainingslager sechs Kilo abtrainiert hatte. Hollis Price hatte breit gelächelt und auf die Frage nach seinen Deutschkenntnissen »Scheiße« geantwortet. Dafür war er angemessen gefeiert worden. McElroy hatte versucht, sich vor dem Moderator zu verstecken, weil er ungern vor Publikum sprach.
Luka Pavi ć evi ć war als Letzter auf die Bühne getreten und hatte freundlich und optimistisch von der nächsten Saison gesprochen. Man werde alles versuchen, um die Meisterschaft nach Berlin zu holen und davor die Qualifikation zur Euroleague zu meistern. »We will try and try and try!« Das Ende der letzten Saison wurde nicht mehr thematisiert. Der Profisport hat kein gutes Kurzzeitgedächtnis, er erinnert sich an längst vergangene Zeiten. Dazwischen muss es weitergehen, es gibt immer Schals und Trikots der Neuzugänge zu kaufen.
Im Trainingszentrum wurde hinter verschlossenen Türen gearbeitet. Die Zeit war knapp und die Qualifikation zur Euroleague
Weitere Kostenlose Bücher