Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gentlemen, wir leben am Abgrund

Gentlemen, wir leben am Abgrund

Titel: Gentlemen, wir leben am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pletzinger
Vom Netzwerk:
gekommen: spektakulär gedacht, unspektakulär umgesetzt. Die Russen hatten einen fünfmal so hohen Etat wie Alba, man sprach von zehn bis zwölf Millionen für Spieler und Trainer. Im Team standen hoch bezahlte Individualisten mit NBA – Erfahrung, fünf Amerikaner, ein slowenischer Nationalspieler, dazu ein paar Russen. Samara hatte nach uns die Halle betreten, und beide Mannschaften hatten das typische Spiel vor dem Spiel gespielt.
    Die Russen waren mir riesig und dünn erschienen, ihre flachgesichtigen Betreuer hatten riesige Medizinkoffer getragen und Tommy angebellt, er solle Handtücher holen. Die Amerikaner waren laut lachend in die Halle geschlendert: das Sprungwunder Gerald Green, der erfahrene Wander-Point-Guard Ernest Bremer, Veteran Brion Rush. Allesamt individuell sehr starke Spieler, die in Russland Monatsgehälter im sechsstelligen Bereich verdienten. Sie würden kopflos und unorganisiert spielen, hatte Pavi ć evi ć angekündigt, und gegen ein Team keine Chance haben. Die Deutschen gaben sich ruhig, sie schlichen aus der Halle wie alte, gelassene Männer. Ihr Gang sagte, dass in Berlin niemand nervös war, noch nicht einmal angespannt. »Eigentlich liegen wir sogar noch im Bett«, erzählte Femerlings Frisur, und Lucca Staigers Jogginghose sagte: »Seht her, wir stehen hier im Pyjama. Aber für euch wird es reichen.«
    Amerikanische Basketballspieler in Europa sind Saisonarbeiter. Die meisten kennen sich, sie umarmen sich halb. Hollis Price und J.   R. Bremer hatten 2008/09 gleichzeitig in Russland gespielt, Hollis für Dynamo Moskau, Bremer für den Moskauer Vorortclub Triumph Lyubertsy. Beide hatten gutes Geld verdient. Sie sprachen kurz über Trainerwechsel, Frauengeschichten, neue Tattoos, Wohnbedingungen und wer wann und wo mit wem trainierte. Die Amerikaner treffen sich im Sommer zum Training, sie spielen gegeneinander und miteinander. Ihre Agenten verhandeln mit den Clubs, und im Herbst fliegen sie nach Russland, Italien, Spanien, Serbien, in die Türkei oder nach Deutschland und verrichten ihre Saisonarbeit. Andere landen in Belgien, Finnland oder Tschechien. »Gut bezahlte Apfelpflücker«, sagte jemand, »extrem teure Spargelpolen«. Die wenigsten blieben länger an einem Ort.
    Geld spielt dabei eine wichtige Rolle. Basketballspieler wissen, dass sie nur wenige Jahre Zeit haben, um Geld zu verdienen. Sowieso schaffen nur wenige gute Basketballer den Sprung vom College zu den Profis in die NBA . Der Durchschnittsspieler bleibt weniger als vier Jahre in diesem Beruf. Einige wenige Stars halten sich zehn Jahre oder mehr in der Liga, der Großteil wird vorher aussortiert. NBA – Profis sind nach drei Jahren in der Liga rentenberechtigt. Europa, Asien und Südamerika sind veritable Alternativen.
    Ein Basketballprofi hat wenig Zeit. Er ist entweder Newcomer, mitten in den Erntejahren oder bereits ein Veteran. Die Spieleragenten verdienen anteilig an den Gehältern, also versuchen sie, so früh und so lang wie möglich zu ernten. Werte wie Loyalität, die von den Fans für wichtig gehalten werden, haben in dieser Welt keine Bedeutung.
    Hollis Price hatte den Sprung in die amerikanische Profiliga knapp verpasst, aber in Europa konnte er genug Geld verdienen, um seine Großeltern nach dem Wirbelsturm Katrina von New Orleans nach Houston umsiedeln zu können und ihnen ein ordentliches Haus zu kaufen. Er bezahlte die Entziehungskuren seiner Mutter. Geld bedeutete für ihn nicht nur eine Zukunft. In erster Linie war es ein Ausweg. Häufiger als für weiße Mittelstandskinder bedeutet Geld für schwarze Basketballer einen grundlegenden Wandel in Status und Respekt.
    Deutsche Profis spielen um kleine Scheine, Serben spielen um die Ehre, Amerikaner spielen um ein gutes Leben. Diejenigen, die es schaffen, zeigen ihren Erfolg. Als Hollis die Halle verließ, saßen Green undBremer noch in Socken am Spielfeldrand und warfen abwechselnd und betont lässig den Ball Richtung Korb. »One thousand«, hatte Bremer gesagt, aber Green hatte daneben geworfen. 1000 Dollar für jeden Treffer. Green hatte gelacht, Bremer hatte im Sitzen geworfen und getroffen. 1000 Dollar. Alba hatte das Spiel ungefährdet mit 88:64 gewonnen. Marko Marinovi ć war der beste Spieler gewesen. »Doswidanje«, hatte er gesagt und nicht gewusst, dass er damit recht behalten sollte.

    Jenseits der Hügel von Caserta lag der Palamaggiò unter uns im gelben Nebel wie ein vergessener Koffer. Der Sportpalast stand einsam auf offenem Feld

Weitere Kostenlose Bücher