Georgette Heyer
als nötig im Yorkshire herumsitzen zu
lassen. So redete sie sich den Gedanken aus, daß Damerel, wenn er so sehr in
seiner Liebe aufging, wie sie es von ihm annahm, sich durch kein noch so
wichtiges Geschäft so viele Stunden lang von ihr fernhalten lassen würde. Aber
die Heiterkeit, die sie wie ein warmer Mantel eingehüllt hatte, war aufgestört.
Sie entdeckte, daß sie in Frage stellte, woran sie bisher noch nie gezweifelt
hatte. Es war ihr unmöglich, an irgend etwas anderes als an ihr eigenes Problem
zu denken, ihre Ungeduld zu bezähmen oder zu dulden, daß die Bemühungen Mrs.
Scorriers oder Mrs. Gurnards in ihr Bewußtsein drangen.
Der Hof, zu dem sie ritt, lag in
einem entfernten Teil des Besitzes. Die Stute war frisch, und wenn auch der
Tag trüb war und der scharfe Wind sie daran erinnerte, daß der lieblichste
Herbst, dessen sie sich entsinnen konnte, in den Winter hinüberglitt, trug der
Ritt viel dazu bei, ihre unerklärliche Bedrückung zu erleichtern. Sie kehrte
einige Minuten vor Mittag nach Undershaw zurück und wußte, daß heute kaum eine
Chance für Aubrey bestand, ein Tête-à-tête zu unterbrechen, weil er zu
einem abgelegenen Jagdwinkel gefahren war. Er hatte sich, seine zwei Spaniels,
den Förster und seine gehätschelten Manton-Gewehre in den Gig gepackt, samt
einem großen Proviantkorb, der ein «leichtes» Mittagessen enthielt, wie es Mrs.
Gurnard und die Köchin für einen Jüngling zarter Konstitution für angemessen
hielten, dessen mageren Körper sie schon seit Jahren aufzufuttern versuchten.
Heute würden keine Überreste heimgebracht werden, die ihre Empfindlichkeit
verletzen konnten. Und sollte eine der beiden ehrenwerten Damen den Verdacht
hegen, daß die Wildpastete, das Aspik, die gesülzte Taube und die Königinnenkuchen,
warm aus dem Ofen, von dem Förster und den Spaniels sehr geschätzt werden
würden, während Aubrey ein Stück Käse und einen Apfel verspeiste, so konnte
man darauf bauen, daß sie derart entmutigende Überlegungen bei sich behalten
würde.
Als Venetia aus dem Sattel glitt und
die Schleppe ihres Reitanzugs aufnahm, kam Fingle aus der
Sattelkammer, um ihr den Zügel der Stute abzunehmen. Sie sah sofort, daß er
fast platzte vor Neuigkeiten, und so war es denn auch – er verriet ihr, sie sei
keine halbe Stunde von Undershaw weggeritten gewesen, als auch schon eine
vierspännige Kalesche vorgefahren war und niemand Geringeren als Mr. Philip
Hendred abgesetzt hatte.
Sie war verblüfft; sie hatte zwar
eine Antwort auf den Brief bekommen, in dem sie ihrer Tante Conways Heirat
mitgeteilt hatte, aber nicht die geringste Verständigung von diesem Besuch. Sie
rief derart ungläubig: «Mein Onkel?», daß Fingle erfreut war über die
Sensation, die er verursachte, und ihr anvertraute, daß es ihn regelrecht umgeschmissen
habe. «Er ist den ganzen Weg in seiner eigenen Kalesche gefahren, Miss»,
erzählte er ihr, anscheinend in dem Gefühl, daß dieser Umstand dem unerwarteten
Besuch besonderen Glanz verlieh, «und ich vermute, sogar mit seinen eigenen
Postillionen, weil er sie gar nicht erst bezahlte, noch ihnen das Geld für ihre
Unterkunft gab, sondern sie stracks zum Roten Löwen schickte.»
«Sie zum Roten Löwen schickte?»
unterbrach sie ihn ganz entsetzt. «Himmel, wie konnte Ribble so etwas
zulassen?»
Aber es schien, daß Mr. Hendred
jeden gastfreundlichen Einspruch zum Schweigen gebracht hatte, was, wie Fingle
Venetia ins Gedächtnis rief, in Anbetracht der Tatsache ja zu erwarten gewesen
war, da er doch auch fast eine Woche in Undershaw verbracht hatte, als der Herr
krank geworden und gestorben war, und keine Überredung genützt hatte, seine
Postillione noch seine Tiere im Haus zu beherbergen. «Aber damals hat er seinen
Kammerdiener mit heraufgenommen, Miss, was er diesmal nicht getan hat.»
Diese Information, die wohl der
Höhepunkt sein sollte, erstaunte jedoch Venetia nicht. Sie sagte nur, sie
müsse sofort ihren Gast begrüßen gehen, und enteilte, gerade als Fingle sich
darauf vorbereitete, ihr langsam in allen Einzelheiten die verschiedenen
Punkte und Mäkel des Gespanns der Kalesche zu beschreiben.
Sie hielt sich nicht erst damit auf,
ihren Reitanzug abzulegen, sondern ging unverzüglich in den Salon, in dem sie,
wie Ribble sie informierte, Mr. Hendred von Ihrer Gnaden und Mrs. Scorrier empfangen
vorfinden würde. Als sie den Salon betrat, blieb sie einen Augenblick auf der
Schwelle stehen, immer noch die Reitgerte in der einen Hand, ihre
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