Georgette Heyer
worden
war, glaubte sie natürlich, daß sie imstande wäre, sich in jeder Gesellschaft
auch allein zu behaupten. Dies erwies sich jedoch als Irrtum. Die Einsätze
waren auch weit höher als die, mit denen sie bisher gespielt hatte, und sie
befand sich alsbald in nicht geringer Verlegenheit, als sie feststellen mußte,
für ihre Einsätze kein Geld mehr bei sich zu haben. Mrs. Gillingham war die
Güte selbst; lächelte über ihre Unerfahrenheit und erklärte ihr, daß jedermann
so lange auf Kredit spiele, bis sich das Glück wieder gewendet hatte, und zeigte
ihr gleichzeitig, wie man einen Scheck ausschreibt. Hero erinnerte sich, daß
Sherry davon gesprochen hatte, einen Schuldschein unterschrieben zu haben,
daher nahm sie an, daß dies der allgemein geübte Brauch sei, und nahm beruhigt
wieder Platz, um die verlorene Summe zurückzugewinnen. Sie war dermaßen in das
Spiel vertieft, daß sie außer dem Fallen der Karten kaum etwas bemerkte; in der
Erregung des Spiels, der Hitze des Zimmers und durch den Champagner, der
ununterbrochen in ihr Glas nachgefüllt wurde, geriet sie immer tiefer in
Schulden und erhob sich in früher Morgenstunde mit weit größeren Verlusten,
als sie sich noch klar vorzustellen vermochte. Ihre Schuldscheine schienen sich
unglaublicherweise auf eine vierstellige Zahl zu belaufen, und sie hatte nicht
die geringste Ahnung, wie sie eine derartige Summe von ihrem erst im nächsten
Vierteljahr fälligen Nadelgeld begleichen sollte. Aber auch in diesem Fall
erwies sich Mrs. Gillingham äußerst verständnisvoll und versicherte ihr, daß
der Bankhalter, Jack Cranbourne, sich nie träumen ließe, sie um eine Bezahlung
zu drängen. Sie sei nicht nur überzeugt, Hero
werde bei einem zweiten Versuch am folgenden Abend alle Schuldscheine
zurückgewinnen, sondern sie sähe förmlich vor sich, wie ein Goldstrom in den
Schoß ihrer jungen Freundin fließe. Hero, durch ihre Verluste stark ernüchtert,
hatte nicht den Wunsch, einen weiteren Abend in diesem Hause zu verbringen,
aber da Sherry dasselbe gesagt hatte, nahm sie an, daß das, was Mrs. Gillingham
ihr erzählte, auf Wahrheit beruhe. Man mußte nur den Mut haben, der eigenen
Verluste nicht zu achten und weiterzuspielen, bis sich das Glück wieder wandte
und alles in Ordnung kam.
Aber Heros
Spielverluste waren am zweiten Abend womöglich noch verheerender als am ersten,
und eine innere Stimme sagte ihr, daß ein dritter Abend auch nicht
erfolgreicher verlaufen würde. Völlig verängstigt und bei dem Gedanken an die
ungeheure Summe, die sie verloren hatte, von Entsetzen erfaßt, wußte sie nicht,
an wen sie sich in ihrer verzweifelten Lage wenden sollte. Sie verbrachte den
Rest der Nacht damit, daß sie sich von einer Seite auf die andre wälzte und den
Kopf darüber zerbrach, wie sie einen Ausweg aus ihren Schwierigkeiten finden
sollte. Sherry mit dem ganzen Betrag ihrer Verpflichtungen zu belasten, schien
ihr undenkbar, denn der arme Sherry hatte seine eigenen Schulden, und es war
erst eine Woche her, seit er gesagt hatte, daß sie tatsächlich versuchen
müßten, sparsamer zu leben. Hero weinte herzzerreißend in ihre Kissen, weil sie
es war, die Sherrys Schwierigkeiten noch vergrößert hatte, und sie dachte, daß
ihre Schwiegermutter nicht mehr als die Wahrheit gesprochen habe, als sie sie
beschuldigte, sein Leben zerstört zu haben.
Er kam am
selben Tag aus Newmarket zurück und traf seine Frau mit müden Augen an, die,
wie sie ihm befangen erklärte, von einer Migräne herrührten. Er vertraute ihr
an, daß auch er eine Migräne gehabt habe, und zögerte nicht, sie dem
böswilligen Verhalten von vier oder fünf Pferden zuzuschreiben, auf die er gewettet
hatte. Hero wurde blaß und stotterte: «Hast du sehr großes Pech gehabt,
Sherry?»
«Höllisches
Pech!» erwiderte er. «Das eine kann ich dir sagen, wenn das so weitergeht,
werde ich mich plötzlich in den Händen eines dieser verfluchten
Hundertprozenter befinden!» Er löste das Siegel von einem der Briefe, die ihn
erwartet hatten, und rief aus: «Rechnungen, nichts als Rechnungen! Sie nehmen
kein Ende. Ein verdammter Empfang für einen Mann!»
«Was – was
ist ein Hundertprozenter, Sherry?» fragte ihn seine Frau mit schwacher Stimme.
«Ein
Geldverleiher», erwiderte er, überantwortete dem Feuer eine weitere Rechnung
und öffnete ein versprechenderes Billett.
«Gibt es
denn Leute, die Geld herleihen?» fragte sie begierig.
«Ja,
Wucherer – und obendrein zu einem verteufelt hohen
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