Georgette Heyer
Er hatte
seiner angebeteten Isabella, als er sie erblickte, nicht mehr als eine herkömmliche
Verbeugung gemacht, und es war eindeutig klar, daß er die Absicht hatte, Hero
den ganzen Abend zu widmen. Miss Milborne wußte ein gutes Dutzend Gründe dafür
anzuführen, weshalb er Hero auf den Ball begleitet hatte, jedoch keiner
vermochte sie zu befriedigen; und auch die besondere Auszeichnung, die ihr
herzoglicher Bewunderer ihr zuteil werden ließ, konnte ihre Laune nicht
wiederherstellen. Sie betrug sich sogar Severn gegenüber ein wenig launenhaft,
ein Umstand, der ihr später bissige Vorwürfe ihrer Mutter eintrug, die es nicht
zulassen konnte, daß ihre Tochter mit einem so blendenden Bewerber
leichtfertig umsprang.
In
Wirklichkeit befand sich Miss Milborne in der peinlichen Lage einer jungen
Dame, der der Ehrgeiz ihrer Mutter den Kopf ebenso verdreht hatte wie die
Bewunderung, die ihr zuteil wurde, seitdem sie zum erstenmal in der vornehmen
Welt erschienen war. Man hatte sie mit der Aussicht auf eine brillante Heirat
erzogen, und bis zu dem Augenblick, da Lord Wrotham stürmisch ihren Weg
kreuzte, wäre ihr nie etwas anderes in den Sinn gekommen, als die Ratschläge
ihrer Mutter zu befolgen. Aber Lord Wrotham war eine höchst beunruhigende
Persönlichkeit, und es währte nicht lange, bis sich Fügsamkeit und
wohlgeordneter Ehrgeiz der Beauté in unmittelbarem Widerstreit mit den kaum
erst ver standenen Einflüsterungen ihres Herzens befanden. Denn niemand konnte
ernsthaft glauben, daß Wrotham für irgendein Mädchen eine brillante Partie
wäre. Seine Herkunft war ganz gewiß untadelig, aber es war auch allgemein
bekannt, daß seine Güter in hohem Maße verschuldet waren; und anstatt sich wie
sein herzoglicher Rivale als würdevoller junger Gentleman von bemerkenswert
beständigem Charakter zu erweisen, war er bis zum Übermaß verwildert. Miss
Milborne mußte sich eingestehen, daß er ebensoviel liederliche Neigungen hatte
wie Sherry, dem sie aus diesem Grunde Vorwürfe gemacht hatte; er war ein
Spieler; er verkehrte mit Männern niedrigen Standes, mit Preisboxern und Jokkeys,
und sein ungebärdiges Temperament veranlaßte seine besorgten Freunde zu der
Prophezeiung, daß er eines Tages seinen Gegner töten werde und sich gezwungen
sehen würde, aus dem Lande zu fliehen. Miss Milborne wußte, daß der bloße
Gedanke, sich mit ihm zu verbinden, lächerlich war, und sie unternahm
zahlreiche höchst lobenswerte Versuche, ihn aus ihren Gedanken zu bannen.
Schließlich war er ja nicht der einzige ihrer Bewunderer, der sie zu fesseln
vermochte. Sie war für den ungezwungenen Charme Sherrys durchaus nicht
unempfänglich gewesen; aber sie fand auch Sir Barnabas Crawley ganz nach ihrem
Geschmack, von dem flatterhaften Sir Montagu Revesby ganz zu schweigen. In
ihren aufrichtigeren Momenten mußte sie sich eingestehen, daß sie an dem Herzog
von Severn auch schon gar nichts reizte; war aber George wieder einmal
außergewöhnlich lästig gewesen, dann gelang es ihr, sich selbst zu beweisen,
daß es sehr schön wäre, mit einem Kavalier verheiratet zu sein, der ihr
bestimmt nie einen unruhigen Augenblick bereiten und der sie mit nie
versagender, wenn auch ein wenig ermüdender Höflichkeit und Rücksichtnahme
behandeln würde. Überdies war er außerordentlich reich, da sie aber selbst ein
ansehnliches Erbe erwartete, konnte sie sich so materialistische Gedanken aus
dem Kopf schlagen. Nichts lag in der Tat den bewunderungswürdig dressierten
Absichten Miss Milbornes ferner, als ihrer Familie mit einer Heirat – wie man
so schön zu sagen pflegt – Schande zu bereiten. Doch als sie jetzt sah, wie
Wrotham den Ballsaal des Almack-Clubs mit Hero am Arm betrat, empfand sie einen
heftigen Schmerz, der der Eifersucht so sehr glich, daß sie über die Niedrigkeit
ihrer eigenen Gesinnung empört war und das Gefühl hatte, als hätte man ihr die
ganze Freude an diesem Abend zerstört. Sie war aber auch außerstande, über Hero
wohlwollend zu denken, die ihr George auf so schamlose Weise gestohlen hatte
und als wäre das allein nicht schon Unrecht genug! – es fertigbrachte, ihn den
ganzen Abend allem Anschein nach in sonnigster Laune zu erhalten.
Sie mußte
zu dem Schluß gelangen, daß dies der zweite Bewerber war, den ihr Hero
gestohlen hatte. Es war recht schön und gut zu sagen, Sherry habe die arme Hero
in einem Anfall verletzter Eitelkeit geheiratet: möglicherweise hatte er es
sogar getan, aber jeder, der nun glaubte,
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