Georgette Heyer
Skrupel zu überwinden. «Ich weiß, daß es nicht
üblich ist», sagte Mr. Ringwood, «aber das Kätzchen steht auf sehr gutem Fuß
mit Miss Milborne, und wenn es eine Menschenseele gibt, die George stoppen
kann, wenn er die Kandare zwischen die Zähne nimmt, dann ist sie es.»
Dies bewog
Mr. Fakenham, die Hand seines Freundes zu ergreifen und sie inbrünstig zu
schütteln. «Gil, lieber alter Junge, du hast recht», sagte er. «Habe immer
gewußt, daß du einen findigen Kopf auf den Schultern trägst. Weißt du, es ist
ja verdammt irregulär, denn man darf derartige Affären vor Damen nicht
erwähnen.»
«Ach, laß
das», sagte Mr. Ringwood ungeduldig. «Komm, gehen wir jetzt in
die Half Moon Street, während Sherry bestimmt nicht zu Hause ist.»
Die beiden
Gentlemen machten sich demzufolge gemeinsam auf den Weg und hatten das Glück,
Hero allein zu Hause vorzufinden. Sie wurden in den Salon geführt, und hier
unterrichtete Mr. Ringwood seine Gastgeberin ohne Umschweife über die Natur
seiner Aufgabe. Da Hero bereits eine ziemlich präzise Vorstellung von dem
hatte, was sich abspielte, fiel sie weder in Ohnmacht, wie Mr. Fakenham voll
Entsetzen befürchtet hatte, noch bekam sie einen hysterischen Anfall. Die Strafpredigt,
die ihr Sherry wegen ihres Betragens noch am gleichen Abend auf der Heimfahrt
gehalten hatte, war so nachdrücklich gewesen, daß sie darunter gezittert und
kaum Kraft genug gefunden hatte, ihm zu erklären, sie habe bloß den Versuch
unternommen, den armen George zu trösten, der über Isabellas Grausamkeit in so
schrecklicher Verzweiflung gewesen war. Zu dieser Zeit war Sherrys Zorn bereits
verraucht, und es fiel ihm nicht schwer, ihrer Darstellung der Affäre Glauben
zu schenken; aber die ernste Predigt, die er ihr über die Unschicklichkeit
hielt, einem unverheirateten jungen Mann diese spezielle Art des Trostes zu
gewähren, hätte der strengsten Duena Ehre gemacht und entlockte seiner jungen
Frau Tränen der Zerknirschung. Hierauf ließ sich der Viscount dazu herbei, ihre
Tränen zu trocknen, ihr zu sagen, daß es nicht ihre Schuld gewesen sei –
wenigstens nicht allein ihre Schuld – und daß er besser daran getan hätte, ihr
einen so abgebrühten Schurken wie George Wrotham nicht vorzustellen. Dies
konnte sie aber keinesfalls gelten lassen, und sie erklärte, während sie
zwischen den einzelnen Sätzen herzzerbrechend schluchzte, daß in Wirklichkeit
sie schuld sei, daß George sie auf die brüderlichste Weise und ohne zu
überlegen geküßt habe. Der Viscount erwiderte mit einiger Strenge, da sie keine
Brüder besitze, könne sie über brüderliche Küsse nichts wissen; da er selbst
aber ein junger Mann mit den reichsten und vielfältigsten Erfahrungen war,
vermochte er für die Situation völliges Verständnis aufzubringen und sogar zu
wünschen – obwohl er dies für sich behielt –, daß ihm sein Temperament nicht
durchgegangen wäre. Als Hero aber schüchtern ihrer Hoffnung Ausdruck gab, daß
er sich mit George nicht entzweit habe, erhielt sie lediglich die nicht sehr
überzeugend klingende Versicherung zur Antwort, daß kein Grund vorliege, sich
seinetwegen den Kopf zu zerbrechen.
Daher wurde
sie von Mr. Ringwoods Enthüllungen keineswegs überrascht. Sie nickte mit dem
Kopf und wurde ein wenig blässer; ihren Blick angstvoll auf sein Gesicht
geheftet, sagte sie: «Aber George wird Sherry doch nicht verletzen! Dazu wäre
er nicht imstande!»
«O ja, das
ist sehr leicht möglich», sagte Ferdy, «er ist ein Teufelskerl mit Pistolen,
dieser George. Fehlt niemals!»
Ihre Augen
weiteten sich. «Das würde er nie tun, er würde nie auf Sherry schießen!»
«Würde es
nicht für ausgeschlossen halten», sagte Ferdy kopfschüt telnd. «Versuchte ihn
ein dutzendmal zu fordern. Aber Sherry erklärte jedesmal, er wäre nicht so
verrückt, sich mit George zu duellieren, damit er ihm eine Kugel durch die Brust
schießen kann. Ein Jammer, daß er sich anders entschlossen hat.»
«Aber das
darf er einfach nicht!» rief Hero aufgebracht. «Er darf es nicht! Ach,
ihr tut ihm bloß unrecht. Ich weiß, daß er es nicht tun würde.»
«Ist ein
komischer Kauz, dieser George», sagte Mr. Ringwood trübe. «Ich will nicht
behaupten, daß er kein feiner Kerl ist: er ist der mutigste Mann, den ich
kenne. Die Sache ist leider die, daß er ein höllisches Temperament hat, und
wenn er einen seiner Anfälle bekommt, dann kann man nie sagen, wessen er fähig
ist. Erinnerst du dich, Ferdy, wie du ihn
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