Georgette Heyer
Tragödie vorgespielt, aber will man
entdecken, ob auch nur ein Körnchen Wahrheit in all dem Schwulst steckt, dann
kann man ebensogut versuchen, eine Taube zu melken! Hat gerade nur wieder
einmal einen seiner Tricks ausgespielt, ja?» Er zuckte die Achsel. «Das hätte
ich mir denken können!»
«Nein»,
sagte der Major bedächtig. «Weit davon entfernt!»
«Hector!» Der Schrei entfuhr
Fanny vor Schreck wider Willen. Rotherham drehte sich rasch um. Ein schneller
Blick auf Fannys entsetztes
Gesicht, und seine Augen starrten den Major hart und fragend an. «Na?
Heraus damit!»
Fanny sprang mit raschelnden Röcken
auf und umklammerte den Arm des Majors. «Hector, Sie dürfen nicht! Oh, ich
bitte Sie ...!»
Er legte seine Hand auf ihre
verkrampften Finger. «Aber ich glaube, ich muß es ihm sagen», sagte er sanft.
«Haben Sie nicht selbst von Anfang an behauptet, daß nichts als
Elend aus dieser Heirat kommen würde? Ihr Mündel, Marquis, ist, soweit wir
informiert sind, heute morgen mit Ihrer Verlobten durchgebrannt.»
«Was?!» donnerte Rotherham los, daß
Fanny zusammenfuhr. «Wollen Sie mich aufziehen?»
«Mit so etwas? Bestimmt nicht! Die
beiden sind mit einer zweispännigen Kutsche losgefahren, sehr vermutlich nach
Gretna Green.»
«Bei Gott, ich habe dem Jungen
unrecht getan!» rief Rotherham aus. «Deshalb also durfte ich bei Mrs. Floore
nicht ins Haus! Gretna Green also!» Seine Brauen zogen sich wieder zusammen.
«Guter Gott, die kommen nie hin! Ich möchte schwören, alles Geld, das der junge
Narr hat, waren die fünfzig Pfund, die ich ihm gegeben habe! Warum zum Teufel
konnte er nicht gleich um hundert bitten, wenn er schon dabei war? Hohlkopf,
der ...! Jetzt wird er parterre sein, bevor er Carlisle erreicht!»
Fannys Hände sanken vom Arm des
Majors herunter. Fasziniert starrte sie Rotherham an.
«Er scheint die Kutsche nur bis Wolverhampton
gemietet zu haben», sagte der Major, dem es nur mit übermenschlicher
Anstrengung gelang, die Fassung zu bewahren. «Möglicherweise – hat er vorausgesehen,
daß ihm bald kein Groschen bleibt, und deshalb hat er vor, von dort aus mit dem
gewöhnlichen Reisewagen weiterzufahren.»
«Gott schenke mir Geduld!» stöhnte
Rotherham wütend. «Ob mir je ein solcher Dummkopf untergekommen ist ...! Fällt
ihm nichts Besseres ein, als ein Mädchen nach Wolverhampton zu führen – ausgerechnet
Wolverhampton, mein Gott! – und sie dann in eine ordinäre Reisekutsche zu
stopfen? Und wenn alles hin ist, dann wird alle Schuld mir zugeschoben! Wie zum
Teufel konnte ich auch ahnen, daß er so ein Karpfen ist und es nicht besser
macht, wenn ich es ihm nicht sage?»
«Vielleicht», sagte der Major, der
sich wieder hingesetzt hatte und seinen Gefühlen in einem schallenden Gelächter
freien Lauf ließ, «s-spürte er, daß es denn doch ein bißchen – p-peinlich wäre,
sich ausgerechnet an Sie um Instruktionen zu wenden!»
Rotherham lachte dröhnend auf. «Das
kann natürlich sein!» gab er zu. Ein zweiter Gedanke aber ließ ihn wieder die
Stirn runzeln. «Was aber hat Serena damit zu tun?» fragte er. «Sie werden mir
doch nicht erzählen wollen, daß sie mitgefahren ist, um die Anstandsdame für
Emily zu spielen?»
«Nein – um sie zurückzuholen!» sagte
der Major. «Sie ist ihnen nachgeritten.»
«Und das haben Sie zugelassen?!»
«Es lag nicht in meiner Macht, zu
versuchen, sie davon abzuhal ten. Ich habe es erst heute nachmittag erfahren.
Es war viel zu spät, um sie einzuholen. Ich kann nur hoffen, daß ihr nichts
passiert.»
«Serena etwas passieren?» Rotherham
verzog den Mund. «Um ihretwillen brauchen Sie sich keine Sorge zu machen! Der
passiert bestimmt nichts. Sie hat also vor, Emily zurückzuholen, ja? Da bin
ich ihr ja sehr verbunden!»
Er kam langsam vom Fenster zurück,
brütete vor sich hin und hatte die Lippen fest zusammengepreßt. Er merkte, daß
Fanny ihn beobachtete, und sagte kurz angebunden: «Zweifellos wird sie gleich
da sein, Ich würde mich ihretwegen nicht quälen, Lady Spenborough, wenn ich an
Ihrer Stelle wäre: sie ist sehr wohl imstande, auf sich aufzupassen. Ich werde
nicht auf sie warten.»
Er wollte ihr die Hand reichen, aber
bevor sie sie ergreifen konnte, hatte sich der Major erhoben und nahm Serenas
Brief vom Tisch. «Sie sollten lieber lesen, was sie Lady Spenborough
geschrieben hat», sagte er. «Ich bilde mir ein, daß es die Sache ziemlich klarmacht.»
Rotherham nahm das Blatt und schaute
ihn dabei prüfend unter den
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