Georgette Heyer
hatte. Es ergaben sich tausend unvorher gesehene
Schwierigkeiten; und zudem wurde sie von ihrem Vetter ständig um Auskunft und
Rat gebeten. Er tat ihr leid. Er war ein schüchterner, bescheidener Mensch,
der sich mehr Mühe gab, als er Fähigkeiten besaß, und ganz offenkundig von der
unerwarteten Veränderung seiner Verhältnisse überwältigt war. Daß er je der
Nachfolger seines Onkels werden könnte, hatte er immer nur als eine sehr vage
Möglichkeit in Betracht gezogen; und da der Earl diese Ansicht geteilt hatte,
war ihm auch nie die Gelegenheit geboten worden, sich mit allen Einzelheiten
der Leitung eines großen Besitzes vertraut zu machen. Er kam aus weit bescheideneren
Verhältnissen, in denen er still und zufrieden mit seiner Frau und seinen
Kindern dahingelebt hatte; Wochen hindurch fühlte er sich einfach zerschmettert
von dem erschreckenden Gewicht eines großen Vermögens, von Ländereien und
seinem neuen Titel. In Serenas Gegenwart empfand er sich unbehaglich als ein
Nichts, war ihr aber aufrichtig dankbar und wußte, daß er ohne sie viel schlimmer
drangewesen wäre; denn sie war jederzeit imstande ihm die geheimnisvollen
Aussprüche von Leuten wie Gutsverwaltern und Amtmännern zu erklären. Er hatte
es nicht gelernt, ungezwungen mit ihnen umzugehen. Auch spürte er, daß er
genau beobachtet wurde; die Leute nahmen an, daß er mehr wußte, als es in
Wirklichkeit der Fall war; er hatte Angst, sich lächerlich zu machen, wenn er
seine Unwissenheit zugab; und überließ es Serena, alles klarzustellen. Sie
nahm an, er würde sich geschickter benehmen, wenn er seine Frau an der Seite
hatte, denn nach den vielen Anspielungen auf Janes Fähigkeiten sah es aus, als
sei sie die stärkere Persönlichkeit. Aber die neue Gräfin sollte erst nach
Milverley ziehen, wenn ihr Londoner Haushalt aufgelöst sein würde. Sie schien
sehr viel zu tun zu haben, und es verging kein Tag, an dem sie nicht
schriftlich anfragte, ob sie dieses oder jenes Möbelstück verkaufen oder doch
lieber nach Milverley mitnehmen sollte; was sie wegen des neuen Landauers
unternehmen sollte; ob sie die Transportfirma Pickford beauftragen sollte, alle
ihre schweren Kisten nach Milverley zu schaffen; und ein Dutzend ähnlicher
Probleme.
Serena mußte einige Tage in London
verbringen. Die Einrichtung des Stadtpalais am Grosvenor Square für die neuen
Besitzer konnte nicht ausschließlich der Dienerschaft überlassen bleiben.
Fanny, die Reisen immer sehr schlecht vertrug, schrak davor zurück; daher übernahm
es Serena, alle ihre Aufträge zu besorgen, und fuhr los, nur von ihrer Zofe
begleitet und in einer gemieteten Postkutsche. Es war ein neues Erlebnis für
sie, denn sie war früher immer entweder in Gesellschaft ihres Vaters oder von
einem Reisemarschall betreut gereist, aber sie war durchaus nicht
eingeschüchtert, sondern fand es im Gegenteil sehr lustig, ihre Rechnung im
Rasthaus, in dem sie die Nacht verbrachte, selbst zu bezahlen und ihr Essen
selbst zu bestellen. Aber Lady Theresa, bei der sie abstieg, war
über die Maßen entsetzt, wagte nicht daran zu denken, was ihr Vater dazu gesagt
hätte, schrieb alles der aufgelösten Verlobung mit Rotherham zu und erinnerte
sich wohlgefällig ihrer eigenen Mädchenzeit, als sie nicht einmal im Park von
Milverley ohne ihren Diener spazierengegangen war.
Es war schmerzlich, das Haus am
Grosvenor Square unter so veränderten Umständen zu betreten, und unangenehm,
als Serena entdecken mußte, daß die neue Lady Spenborough es bereits vom Keller
bis zum Dachboden inspiziert hatte. Serena war wie vom Donner gerührt, als ihr
diese Neuigkeit vom Haushofmeister beigebracht wurde; sie hätte ein solches
Benehmen nie für möglich gehalten. Es war nicht zu leugnen, daß Ihre Gnaden
alles Recht besaß, das Haus zu betreten, aber es war der Mangel an Taktgefühl,
der einen so unangenehmen Eindruck machte, daß er nur schwer abzuschütteln war.
Die Gräfin versuchte ihn auszulöschen, als sie bei Lady Theresa in Park Street
einen Morgenbesuch eigens zu dem Zweck machte, Serena zu erklären, was sie so
dringend gezwungen hatte, zum Grosvenor Square zu gehen. Sie bemäntelte alles
mit einer langen Rede, die mit den Worten begann: «Ich wette, du wirst dich
ein bißchen gewundert haben ...» aber obwohl Serena ihr verzieh, war sie nicht
imstande, zu vergessen, und verstand sich zum erstenmal gut mit ihrer Tante,
als diese später das Benehmen der Gräfin als anmaßend und unter jeder
Weitere Kostenlose Bücher