Georgette Heyer
Verstand besitzt.»
«Überlegen?!
Unsinn! Ich fand immer nur, daß er ein unglaublich öder Mensch ist. Ich wollte,
sie würde diese bleichsüchtige Backfischschwärmerei endlich aufgeben. Denn,
weißt du, die Sache ist völlig unmöglich: er hat weder Vermögen noch
irgendwelche Aussichten, eine reiche Erbschaft zu machen, und ich könnte
schwören, noch nie ein Paar gesehen zu haben, das weniger zusammenpaßt. Ich
wäre ein Verbrecher, wenn ich eine solche Verbindung unterstützte. Wenn seine
Gewissenhaftigkeit tatsächlich so gut fundiert ist, wie du sagst, glaube ich
nicht befürchten zu müssen, daß er mit ihr nach Gretna Green durchbrennen
könnte.»
«Du lieber
Himmel, nein», rief Nell erschrocken.
«Soviel
also über die reizenden Prophezeiungen meiner Tante Chudleigh.»
«Deine
Tante Chudleigh! Oh, Giles, sie war gestern abend im Almack und machte mir
entsetzliche Vorwürfe, weil ich Letty gestattete, mit Mr. Allandale zu tanzen.»
«Welche
Unverschämtheit!»
«O nein,
Giles! Felix sagte allerdings dasselbe. Und er sagte ihr auch, sie solle sich
nur bei dir beklagen, was von ihm zwar nicht sehr höflich, aber unglaublich
mutig war.»
«Ich frage
mich, wie sie sich das vorstellt, und was ich tun könnte, um Letty daran zu
hindern? Nichts anderes, als sie in Merion einzusperren – Übrigens muß ich
nächste Woche nach Merion fahren. Es wäre wohl zwecklos, dich zu bitten, mich
zu begleiten?»
Sie wandte
ihm ihr plötzlich bestürztes Gesicht zu. «Nächste Woche?! Da ist doch das
Maskenfest bei den Beadings ...!»
Er hob die
Brauen. «Ist das so wichtig? Ich für meinen Teil halte Maskenbälle in Chiswick
...»
«Nein,
wirklich nicht. Aber du versprachst Letty, den Ball besuchen zu dürfen. Es ist
ihr erster Maskenball, und sie hat sich den bezauberndsten Domino machen
lassen, und ... und ich muß gestehen, ich fände es entsetzlich unfreundlich
von uns, ihr jetzt zu sagen, daß sie nicht gehen darf.»
«Zum Henker
mit Letty! Kann sie denn nicht – Nein, das kann sie natürlich nicht. Also gut:
ich werde dich nicht länger damit quälen, mich zu begleiten.»
«Ich
wollte, ich könnte es tun», sagte sie sehnsüchtig.
Er lächelte
ihr ziemlich spöttisch zu und griff nach einer anderen Einladungskarte. «Ein
Quadrilleball bei den Cowpers! Wie blendend! Da wird's wieder ein entsetzliches
Gedränge geben. Müssen wir gehen?»
Lady
Cardross hatte mit ihrer Post eine höfliche Erinnerung von ihrem Parfümeur Mr.
Warren erhalten, daß noch eine kleine Rechnung für weißes Nagelwachs und
Olympischen Tau offen sei. Sie war unter Lady Cowpers Einladung gelegen und lag
nun offen zutage, als der Earl nach der Karte griff. Es handelte sich lediglich
um einige Guineen, doch Nell breitete instinktiv ihre Hand darüber, um sie zu
verbergen. Diese rasche Bewegung erregte seine Aufmerksamkeit. Er sah hin, und
Nell zog, ärgerlich über sich selbst, ihre Hand heftig errötend sogleich
wieder zurück.
«Welche
Freuden stehen uns sonst noch bevor?» fragte er und griff nach einer weiteren
Karte. «Gesellschaften und Bälle scheinen in vollem Schwung zu sein: du wirst
unter den vielen Verpflichtungen noch zusammenbrechen. Aber bitte schleppe
mich ja nicht zu dieser Veranstaltung!»
«Die? O
nein. Das ist doch eine Damengesellschaft. Du ... du wirst bei unserem eigenen
Ball aber doch anwesend sein, nicht wahr?»
«Selbstverständlich.»
Es trat
wieder ein kurzes Schweigen ein. Nach dem flüchtigen Blick hatte der Earl die
Rechnung von Mr. Warren nicht wieder angesehen, aber seine schuldbewußte Frau
glaubte, seine Aufmerksamkeit unbedingt davon ablenken zu müssen. Sie sagte
ein wenig atemlos: «Cardross, was für einen schönen und eleganten Dressinggown
du heute trägst! Ich glaube, ich habe ihn bisher noch nie an dir gesehen.»
«Aha! Ich
hoffte, er würde dir gefallen,» sagte er munter. «Und auch, daß du mit mir
zufrieden sein wirst, wenn ich ihn dir vorführe.»
«Ach, mach
dich doch nicht lustig über mich! Er ist wirklich wunderschön.»
«Ja, und
ganz entsetzlich teuer – so teuer wie dein Hütchen mit den Federn –, ich
fürchte allerdings, nicht so kleidsam. Du siehst also, ich setze mich mit
diesem Geständnis einer heftigen Gegenattacke aus.»
«Oh, Giles!»
Er lachte
und streichelte ihre Wange. «Törichte kleine Nell. Ist sie sehr arg?»
Sie stieß
einen Seufzer der Erleichterung aus und sah ihn schüchtern lächelnd an. «Nein,
wirklich nicht. Es ist ... es ist nur eine Rechnung,
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