Georgette Heyer
gelangte sie nach Leeds? Sie könnte dorthin reiten. Im
Stall, wo man ihre einsamen Ausritte kannte, würde es keinen Widerstand geben;
aber sie hielt es für unmöglich, auch nur das kleinste Gepäckstück mitnehmen zu
können, und dies bedeutete, daß sie den ganzen Weg nach London im Reitkleid
zurücklegen müßte. Dem Kutscher aufzutragen, sie in der Barutsche hinzubringen,
war zwecklos; er würde es ablehnen, wenn Miss Trent oder ihr Mädchen nicht mit
ihr fuhren, ebenso würde Courtenays Groom ihr den Phaeton verweigern.
Ein weniger
energisches Mädchen hätten diese Schwierigkeiten abgeschreckt, aber Miss Wield
erkannte klar, daß nichts sie abhalten konnte – sie würde eher zu Fuß nach
Leeds gehen, als ihren Plan aufgeben! Sie schwankte zwischen dem Entschluß,
einen Karton zu besorgen, oder zu reiten und nichts mitzunehmen, als ein
willkommener Ton ihr Ohr traf. Sie lief an das Fenster und sah Mr. Calver, der
in seiner Mietkutsche auf das Haus zufuhr.
Tiffany riß
das Fenster auf und beugte sich hinaus, um ihn willkommen zu heißen.
«Oh! Mr.
Calver, sind Sie gekommen, um mit mir auszufahren? Ich komme sofort!»
Er blickte
zu ihr auf und schwang seinen hohen Biberhut. «Mit Vergnügen! Sie brauchen sich
nicht zu beeilen, ich möchte vorher Miss Trent begrüßen.»
«Oh, die
ist nach Nethersett gefahren und wird Stunden ausbleiben. Bitte, warten Sie nur
zehn Minuten!»
Das war
durchaus nicht, was er zu hören gehofft hatte; auch hatte er wenig Lust, neben
Tiffany zu sitzen, während sie den Wagen durch die nächste Nachbarschaft
lenkte. Es hatte keinen Zweck mehr, hinter ihr her zu sein; sie im Fahren zu
unterrichten war eine Beschäftigung, die ihren Reiz verloren hatte. Da er aber
keinen besseren Zeitvertreib hatte, gab er sich zufrieden.
Als sie,
zwanzig Minuten später, aus dem Haus kam, sah er sie zu seinem Erstaunen in
einen langen Mantel gekleidet, auf dem Kopf einen Hut mit Straußenfedern. An
ihrem Arm hing eine große Hutschachtel.
«Also ...»
sagte er, «will sagen – was soll das heißen?»
Tiffany
reichte ihm die Hutschachtel und kletterte in den Wagen.
«Sie können
sich nicht vorstellen, wie froh ich bin, daß Sie gekommen sind! Ich war
verzweifelt! Ich muß sofort nach Leeds, aber Miss Trent ist mit dem Gig
unterwegs, und Courtenay kann ich nicht finden!»
«Nach
Leeds? Aber...»
«Ja, es ist
höchst ärgerlich», sagte sie leichthin. «Die Schneiderin hat mir das neue
Ballkleid, das ich auf der Syston-Party tragen möchte, geliefert, und die dumme
Gans hat es mir zu eng gemacht. Wie soll ich aber nach Leeds gelangen, wenn der
Kutscher ausgefahren und niemand da ist, der mich begleiten könnte?! Ich war
ratlos, bis ich Sie vorfahren hörte. Sie nehmen mich doch mit, nicht wahr? Dann
kann ich noch alles erledigen.»
«Nun, ich
weiß nicht», sagte er zweifelnd. «Ich bin nicht sicher, ob ich das tun soll.
Ich fürchte, Miss Trent wird es nicht für richtig halten.»
Sie lachte.
«Wie können Sie so einfältig sein! Ich fahre doch so oft mit Ihnen!»
«Ja, aber ...»
«Wenn Sie
mich nicht begleiten, breche ich allein auf!» drohte sie. «Ich werde reiten,
und das wird Miss Trent bestimmt nicht für richtig halten. Also, wenn Sie mir
nicht entgegenkommen wollen ...»
«Nein,
nein, da ist es noch besser, ich fahre Sie, wenn Sie unbedingt wollen. Auf
keinen Fall können Sie allein reiten», sagte er und zog die Zügel an. «Aber
hören Sie: es geht nicht an, daß Sie stundenlang bei der Schneiderin bleiben!
Ich fürchte, wir werden fast zwei Stunden nach Leeds und zurück benötigen.
Haben Sie jemandem gesagt, wohin Sie fahren wollen?»
«O ja», log
sie, «Ancilla wird sich keine Sorgen machen, und deshalb brauchen Sie's auch
nicht. Bei Mrs. Walmer wird es nicht länger als eine halbe Stunde dauern, das
verspreche ich Ihnen.»
Das genügte
ihm, obwohl er wenig Hoffnung hatte, daß Tiffany sich in so kurzer Zeit von
ihrer Schneiderin würde trennen können. Aber er wollte unbedingt Miss Trent in
Staples vorfinden, und wenn es drei Stunden dauern sollte, bis er Tiffany
zurückbrachte.
Tiffany
vertrieb die Zeit mit fröhlichem Geschwätz. Nachdem die erste Hürde ihrer
Flucht genommen war, stieg ihre gute Laune, ihre Augen glänzten vor Erregung,
ein Lachen lag stets auf ihrem Mund. In ihrer Phantasie war sie bereits die
verwöhnte Nichte ihres Onkels James, und es war ihr gelungen, seinen Wohnsitz
aus der City in einen eleganteren Bezirk zu verlegen. Die Demütigung
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