Georgette Heyer
er erfuhr, daß er in die Einladung Mrs. Micklebys an Sir
Waldo einbezogen war. Er sagte, er würde seinen Cousin nicht begleitet haben,
hätte er geahnt, daß sie aus dem Londoner Trubel geflohen waren, um in eine
Reihe ländlicher Dinner-Partys gestürzt zu werden.
Aber alle
diese ungeselligen Ansichten waren nun vorbei. Nun war es nicht mehr Julian, sondern
Sir Waldo, der bedauerte, wegen einer Dinner-Party an einem regnerischen Abend
ausgehen zu müssen. Julian zweifelte nicht mehr, daß es ein reizender Abend
werden würde. Und über das uralte Vehikel, das man aus dem Wagenschuppen für
sie herausschleuste, sagte er zu seinem Cousin, der es mißtrauisch betrachtete,
er werde es sicher sehr bequem finden.
Miss Wield
wäre erfreut – wenn auch nicht überrascht – gewesen, hätte sie gewußt, wie
begierig Seine Lordschaft einer Wiederbegegnung mit ihr im Gutshaus
entgegensah, und wie enttäuscht er war, sie dort nicht zu treffen. Doch hätte
sie – wäre sie ein unsichtbarer Gast gewesen – seine Enttäuschung nicht
erkannt, denn sein Gehaben verriet nichts. Er war zu höflich, sich zu verraten,
und zu fröhlich und freundlich veranlagt, um den geringsten Mangel an
Herzlichkeit zu zeigen. Es tat ihm leid, daß dieses zauberhafte Mädchen
abwesend war, aber er hatte den Namen der Tante in Erfahrung gebracht und
verschiedene Pläne entworfen, Miss Wields Wege zu kreuzen.
Ein Blick
in den Salon genügte, um Sir Waldo zu sagen, daß Miss Wield nicht anwesend war.
Miss Chartley und Miss Colebatch waren die am
besten aussehenden jungen Damen; die eine engelhaft blond, die andere eine hübsche
Rothaarige, aber keine stimmte mit Julians lyrischer Beschreibung von Miss
Wields unvergleichlicher Schönheit überein. Sein Blick streifte Julian; und er
stellte amüsiert fest, daß sein Cousin von den jüngeren Teilnehmerinnen der
Gesellschaft sehr gut unterhalten wurde. Er war nicht überrascht, denn er hatte
Julians Entzücken keine große Bedeutung beigemessen. Julians Interesse für das
schöne Geschlecht war eben erst geweckt worden, befand sich aber noch im
Stadium der Experimente. Im Laufe des vergangenen Jahres hatte er mindestens
ein Dutzend Göttinnen entdeckt, die seiner begeisterten Bewunderung würdig
waren. Der ältere Cousin hatte keinen Grund zu Befürchtungen. Julian freute
sich an manchem Flirt, was seiner Jugend entsprach, aber er war noch weit davon
entfernt, eine dauerhafte Leidenschaft zu entwickeln.
Sir Waldo
selbst fand sich damit ab, einen langweiligen Abend über sich ergehen zu
lassen; selbst das Vergnügen der näheren Bekanntschaft mit der Dame, die ihn
nicht mochte, war ihm versagt. Er suchte sie vergebens und war sich seiner
Enttäuschung bewußt. Zwar konnte er sich ihres Namens nicht erinnern, aber er
erinnerte sich, von der Atmosphäre kühler Würde und dem Lächeln, das so
plötzlich in ihre Augen sprang, angezogen gewesen zu sein. Auch war sie
intelligent und hatte Sinn für Humor – eine seltene Gabe bei Frauen, dachte er.
Er hätte sie gerne näher kennengelernt und sich gefreut, sie wiederzusehen.
Aber sie
befand sich nicht unter den Anwesenden, und statt ihrer war er mit einer Anzahl
von Personen mittleren Alters versorgt, die ebenso langweilig wie würdevoll
waren. Auch einige Jungen und Mädchen waren da. Von den letzteren gefiel ihm
Miss Chartley am besten, und er wechselte einige Worte mit ihr. Die Süße ihres
Gesichtsausdruckes – trotz einer ihr recht gut passenden Schüchternheit –
gefiel ihm; sie war imstande, seine Begrüßung ohne Erröten, ohne nervöses
Kichern und ohne ihn durch Blasiertheit beeindrucken zu wollen, zu erwidern.
Was die jungen Männer betraf, mußte er im Moment, da er den Salon betrat,
erkennen, daß die meisten von ihnen nur Augen für jedes Detail seines
Abendanzuges hatten. Zwar waren sie zu schüchtern, um sich vorzudrängen, aber
jedem von ihnen stand die Hoffnung im Gesicht geschrieben, sich, ehe der Abend
noch zu Ende war, eines Gesprächs mit dem Unvergleichlichen rühmen zu können.
Er war es gewöhnt, der Gegenstand der Heldenverehrung jedes jungen Sportmannes
zu sein, eine Schmeichelei, die er weder suchte noch schätzte. Mr. Underhill,
Mr. Mickleby, Mr. Jack Banningham und Mr. Gregory Ash, die sich tief verneigten
und ihn mit «Sir» und «Euer Gnaden» ansprachen, hätten mit Erstaunen vernommen,
daß der einzige von ihnen, der Sir Waldos
launige Aufmerksamkeit erregte, Humphrey Colebatch war, ein (wie seine
Schwester) rothaariger
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