Georgette Heyer
so
schonungslos zum Bewußtsein kam, daß seine Göttin Füße aus Lehm hatte. Ihr Herz
war voll Mitleid. Sie hätte sich sagen können, daß alle, die ihm gut gesinnt
waren, über seine Enttäuschung jubeln müßten, doch sie fühlte den ganz
unsinnigen, aber übermächtigen Impuls, eine Entschuldigung für Tiffany zu
finden. Doch sie unterdrückte ihn, als sie den aufreizenden Blick sah, den ihre
naive Schülerin Julian zuwarf, ehe sie sich mit Sir Waldo davonmachte. Es wurde
ihr klar, daß Tiffany in Julians Weigerung, nach Bardsey zu reiten, nichts als
Eifersucht – die ihr keinesfalls mißfiel – erblickte. Tiffany hielt ihre
Bewunderer mit Vorliebe für Dummköpfe und verschwendete nie einen Gedanken an
die Qualen, die sie verursachte. Hätte ihr jemand gesagt, daß Julian vom
Benehmen seines Cousins gleichermaßen entsetzt war wie von dem ihrigen, sie
wäre so ungläubig gewesen, wie sie rücksichtslos war. Mehr als einmal fühlte
Miss Trents Herz wahre Qualen, wenn sie den verständnislosen Blick Julians sah,
der zur Kenntnis nehmen mußte, daß Sir Waldo mit Tiffany flirtete, und sie
wünschte nichts sehnlicher, als ihn zu beruhigen.
Sie
wartete, bis die Reiter sich verabschiedet hatten, und kehrte dann zu Miss
Colebatch und Julian in das Schankzimmer zurück. Sie fand sie bei einer
Kanne Tee plaudern. Elizabeth schien schon heiterer, und Julian schien keiner
Beruhigung mehr zu bedürfen. Miss Trent begrüßte herzlich – wenn auch wortlos
– seine guten Manieren, die ihn die Situation gelassen hinnehmen ließen, und
beteiligte sich daran, Elizabeth abzulenken. Diese war noch lange nicht
wiederhergestellt; abgesehen von den Kopfschmerzen litt sie unter der
Kränkung, den anderen ein Vergnügen verdorben und ihre Freundin weinen gesehen
zu haben. Aber Julian brachte sie zum Lachen, als er erklärte, er werde um
ihrer Ungestörtheit willen eine Schürze von der Wirtin borgen und jedem
durstigen Gast einen Krug hinaustragen. Doch gleichzeitig fragte sie sich, ob
Tiffany ihr je verzeihen werde. Mindestens zum fünftenmal versicherte sie, daß
sie es nicht begreifen könne, was über sie gekommen war, und wie sie so dumm
hatte sein können!
«Nun, was
mich betrifft, bin ich froh, daß etwas über Sie gekommen ist», sagte Miss
Trent. «Hätte ich doch nie den Wunsch geäußert, Dripping Well zu besuchen; ich
war nie froher, als der Plan fallengelassen wurde.»
«Sie sind
immer so freundlich, aber Tiffany war wie versessen darauf!»
«Meine
liebe Miss Colebatch, wenn Tiffany nie eine bösere Enttäuschung als diese
erleben wird, kann sie sich glücklich schätzen», sagte Ancilla leichthin. «Ich
hoffe, Sie quälen sich nicht, weil Tiffany in einen ihrer Anfälle übler Laune
ausgebrochen ist. Sie sollten doch wissen, welch verwöhntes Kind sie ist!»
«Das ist
es, nicht wahr», sagte Julian eifrig. «Sie ist noch ein richtiges Kind. Sie ist
so reizend – und einnehmend – kein Wunder, daß sie verwöhnt ist.»
«Gewiß!»
sagte sie und fügte eine Bemerkung hinzu, deren häßliche Doppelzüngigkeit ihr
wohl bewußt war. «Trotzdem dürfen Sie Mrs. Underhill keine Schuld geben. Ich
gestehe, sie hätte strenger sein sollen, aber ihre eigene Natur ist so sanft
und nachgiebig, daß sie gegen Tiffany nicht aufkommt. Und sie fürchtet so sehr
Tiffanys Ausbrüche. Ich gestehe, ich auch! Niemand kann reizender sein als sie,
und niemand kann einen ganzen Haushalt so beunruhigen wie sie. Ich kann Ihnen
gar nicht sagen, wie sehr ich Ihrem Cousin verbunden bin, daß er uns allen zu
Hilfe kam.»
Seine
Antwort war nur ein kurzes, angespanntes Lächeln. Sie sagte nichts mehr, sie
hoffte, daß sie ihm genug Stoff zum Nachdenken gegeben habe. Vielleicht dachte
er auch darüber nach, ob Sir Waldos Benehmen nicht doch eher dem lobenswerten
Impuls entsprang, die peinliche Szene abzubrechen, als dem Wunsch, seinen
jungen Cousin zu kränken.
8
«Ich leugne es nicht, ich bin dankbar,
daß uns ein schwerer hysterischer Anfall erspart geblieben ist», sagte Miss
Trent zum Unvergleichlichen, als am Abend dieses denkwürdigen Tages Miss
Colebatch ihren Eltern heil zurückgebracht worden war, «und ich zweifle nicht,
daß Sie, Sir, zugeben werden, sich höchst bedenkenlos verhalten zu haben.»
«Ich leugne
es», antwortete er kühl. «Ich habe die Szene nicht herbeigeführt, ich habe
nicht ein einziges Zweiglein in die Flammen geworfen, und wenn ich mich
eingeschaltet habe, so geschah es aus
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