Georgette Heyer
von Sir Waldo wußte. Er hatte sich immer wie ein Gentleman benommen, gab
sich weder überheblich noch gelangweilt und versuchte nie seine
Gesprächspartner durch prahlerisches Gehaben zu beeindrucken. Weit davon
entfernt, einen schlechten Einfluß auf seine jugendlichen Bewunderer auszuüben,
hatte – nach den maßgeblichen Worten des Gutsherrn – sein Erscheinen in Broom
Hall nur Gutes bewirkt. Zugleich mit ihren extravaganten Westen und
enormen Halstüchern gaben sie auch waghalsige Sportübungen wie Eichkätzchen
jagen oder die Treppen im Elternhaus mit ihren
Pferden erklimmen, auf. Der Unvergleichliche trug niemals auffällige
Kleidung, und er zeigte, daß er nichts von Draufgängern und ihren
halsbrecherischen Eskapaden hielt. Anstelle wilder Exzesse als Folge
seines Erscheines unter den jungen Aspiranten auf korinthischen Ruhm (wie sie
der Gutsherr kichernd nannte) waren sie beflissen, sich so zu geben, wie es ihr
Held für anständig hielt.
Allerdings
war es möglich, daß Sir Waldo in seiner eigenen Sphäre eine andere Seite seines
Charakters zeigen mochte, aber keinen Augenblick lang glaubte Ancilla, daß er
Jugendliche irreleiten könnte. Doch konnte sie, soweit sie ihn kannte,
annehmen, daß sein Pfad mit gebrochenen Frauenherzen gepflastert war. Kein
Zweifel: er war ein Meister des Flirts, und sie war sich seiner
verhängnisvollen Faszination wohl bewußt. Sie beschloß, das Beste wäre, nicht
mehr an ihn zu denken. Nach diesem Entschluß dachte sie an ihn, bis sie
einschlief.
Am nächsten
Tag ließ sie sich in Mrs. Underhills hübscher neuer Barutsche nach Colby Place
fahren, um sich nach Elizabeths Gesundheit zu erkundigen. Sie wählte Charlotte
zu ihrer Begleiterin. Als aber Tiffany davon hörte, erklärte sie, daß sie genau
dasselbe tun wollte, und bat Miss Trent sehr freundlich, ihr doch einen Sitz in
der Barutsche zu überlassen. Charlotte, die sich keine Illusionen machte, sagte
sofort ab und wollte lieber ihrer Mama Gesellschaft leisten, als den Sitz gegen
die Fahrtrichtung einzunehmen. So kam es, daß Tiffany mit Miss Trent fuhr. In
einem Kleid aus geblumten Musselin, mit einem reizenden Strohhut, der unter dem
Kinn mit blauen Schleifen gehalten war, glich sie einem Bild lieblicher
Unschuld. Ein Schirmchen schützte ihren Teint vor der Sonne. Auf dem Vordersitz
stand ein Korb voll Trauben, den Mrs. Underhill aus ihrem Glashaus (das den
Neid aller Bekannten erregte) gespendet hatte. Miss Trent, die noch weniger
Illusionen als Charlotte hatte, hätte nicht einmal einen Penny dagegen
gewettet, daß Tiffany die Trauben als Zeichen ihrer eigenen Fürsorge
überreichen werde. Zweifel, die sie noch hegen mochte, wurden durch die entwaffnend
naive Erklärung des Mädchens zerstreut.
«Jetzt kann
niemand glauben, ich wäre zur armen Lizzie unfreundlich gewesen, nicht wahr?
Und noch etwas, Ancilla, ich habe Patience eingeladen, am Freitag mit uns nach
Leeds zu fahren, weil sie nächste Woche für den Ball bei den Colebatchs
Handschuhe und Sandalen kaufen will. Auch ich möchte Einkäufe machen. Sie wußte
nicht, wie es anzustellen, da Mrs. Colebatch mit einer Kolik zu Bett liegt.»
«Das ist
aber nett von dir», sagte Miss Trent bewundernd.
«Ja, ich
glaube, es ist nett von mir», sagte Tiffany, «denn nichts ist so unbequem, wie
eine dritte Person im Wagen zu haben. Das bedeutet also, daß Sie gegen die
Fahrtrichtung werden sitzen müssen – aber ich wußte, Sie würden nichts dagegen
haben.»
«Nein,
wirklich nicht», sagte Miss Trent mit großer Herzlichkeit. «Ich bin sehr
glücklich, daß du mir gestattest, mein Scherflein zu deiner Großmut beizutragen.»
«Ja», sagte
Tiffany, die den Spott in Miss Trents Worten nicht bemerkte. «Ich war sicher,
Sie würden sagen, daß ich vollkommen richtig gehandelt habe.»
In Colby
Place stellten sie fest, daß sie keineswegs die einzigen Besucher waren. Im
Schatten einer mächtigen Ulme stand ein Phaeton mit einem prächtigen Gespann.
Ein Stallbursch in einfacher Livree grüßte die Damen, eine Hand an den Hut
gelegt.
Tiffany
rief aus: «Oh, Sir Waldo ist hier!»
Aber als
sie das Haus betraten, bemerkten sie, daß nicht Sir Waldo, sondern Lindeth mit
Lady Colebatch in ihrem Boudoir plauderte. Er sprang auf, als sie hereingeführt
wurden, und seine Augen leuchteten auf, als er Tiffany erspähte. Als sie die
Hausfrau begrüßt hatte und sich umwandte, um ihm die Hand zu reichen, sagte er:
«Das ist schön! Ich wußte, daß Sie kommen
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