Georgette Heyer
ging
zu Bett.
Aber nicht
um zu schlafen. Obwohl sie müde war, konnte ihr Geist nicht zur Ruhe kommen.
Der Abend, der sich zu einem Albtraum verdichtete, hatte seinen Höhepunkt in
der kurzen Unterredung mit dem Unvergleichlichen gefunden, die ihr viel zu
denken gab und viele Auslegungen zuließ.
In den
frühen Morgenstunden wurde sie durch das Knarren des Fußbodens aus ihrem
unruhigen Schlummer geweckt. Sie stützte sich auf die Ellbogen, zog die
Vorhänge ihres Himmelbetts zurück und lauschte. Ein schwerer Schritt – den sie
sofort erkannte – und das Quietschen der Tür, die in den Dienertrakt führte,
waren hörbar. Sie nahm sich nicht Zeit, die Kerze aus der Zunderschachtel, die
auf einem Tischchen neben ihrem Bett stand, anzuzünden, stand schnell auf,
tastete im düsteren Dämmerschein zwischen den Vorhängen nach den Pantoffeln und
warf sich in ihren Morgenrock. Als sie in den weiten Korridor trat, sah sie,
daß die Tür zu Mrs. Underhills Zimmer offenstand. Sie stürzte in Charlottes
Zimmer, wo sie ein trauriger Anblick erwartete.
Charlotte
hatte ihrer Gouvernante beim Gute-Nacht-Sagen eifrig versichert, daß es ihr
schon viel besser gehe und daß sie morgen frisch wie ein
Fisch im Wasser sein werde. Nun aber schritt sie tränenüberströmt in ihrem
Nachthemd – das Häubchen hatte sie vom Kopf gerissen – im Zimmer auf und ab.
Alle Heilkünste der alten Nurse hatten versagt, der Zahnschmerz wurde von
Minute zu Minute ärger, bis sie ihn trotz aller Bemühungen nicht länger
ertragen konnte. Sie war offensichtlich halb verrückt vor Schmerzen.
Miss Trent
bemerkte, daß die Drüsen geschwollen waren, und in Erinnerung an eine
schreckliche Nacht, die sie unter den gleichen Umständen mit der Pflege ihres
Bruders Christopher verbracht hatte, zweifelte sie kaum mehr, daß ein Abszeß
die Ursache von Charlottes Qualen war. Die Nurse hatte versucht, Laudanum auf
den schmerzenden Zahn zu träufeln. Aber sobald sie Charlotte nur berührte,
schrie diese auf und benahm sich so wild, daß die Nurse es mit der Angst zu tun
bekam und die Hausfrau weckte.
Mrs.
Underhill war eine hingebungsvolle Mutter, hatte aber wenig Erfahrung in
Krankheiten und kam als Pflegerin nicht in Frage. Wie viele dicke und von Natur
aus gütige Personen, brachte sie ein Ernstfall bald aus der Fassung, und da
ihre Sensibilität größer war als ihr Verstand, erregte sie der Anblick ihrer
gequälten Tochter so sehr, daß sie fast so heftig weinte wie Charlotte selbst.
Ihr Versuch, das Kind in die Arme zu nehmen, wurde heftig zurückgewiesen, und
ihre zärtlichen Beruhigungen hatten nur den Erfolg, Charlotte hysterisch zu
machen. So dankbar sie war, als sie Miss Trent nun das Zimmer betreten sah, so
ungehalten war sie, als die Gouvernante wenig Mitgefühl zeigte und in strengem
Ton mit Charlotte sprach.
«Allerdings
war es gut für die Arme, denn ich muß sagen, es gelang Miss Trent, Charlotte
zum Niedersetzen zu bewegen. Sie sagte ihr, daß das Herumtoben im Zimmer den
Schmerz nur vergrößere. Die Nurse legte dann einen heißen Ziegelstein unter die
Füße der Kranken, wir wickelten sie in einen Umhang, und Miss Trent sagte mir,
sie glaube, es sei ein Abszeß, und es hätte gar keinen Sinn, Laudanum auf den
Zahn zu träufeln; daher wäre es gescheiter, einige Tropfen in ein Glas Wasser
zu geben, damit sie schläfrig werde. Das hat dann auch nach einer Weile
gewirkt. Aber welche Mühe hat es gekostet, Charlotte dazu zu bewegen, die
Lippen zu öffnen oder das Glas in die Hand zu nehmen – das würden Sie nicht
glauben!»
«Armes
Kind», sagte Sir Waldo. «Ich kann mir vorstellen, daß sie halb verrückt vor
Schmerzen war.»
«Ja, und
alles aus eigener Schuld! Nun, ich hoffe, man hält mich nicht für gefühllos;
aber als sie Miss Trent gestand, daß sie seit fast einer Woche Zahnschmerzen
habe, daß es immer schlechter und schlechter geworden sei und sie keiner Seele
ein Wort darüber gesagt habe, aus Angst, daß
der Zahn gezogen werde, da war ich so böse, daß ich ihr sagte: Laß es dir eine
Lehre sein, Charlotte! sagte ich ihr.»
«Ich
glaube, das wird es sein, Ma'am. Ich gestehe, ich habe alle Sympathie mit
Leuten, die Angst vor dem Zähneziehen haben.»
«Ja», sagte
Mrs. Underhill schaudernd, «aber wenn man die Dinge so weit kommen läßt wie
gestern nacht! Und noch immer weint sie und sagt, sie werde, was immer
geschehe, nicht zu Mr. Dishford gehen– das ist einfach dumm! Nun, ich muß
gestehen, ich zittere selbst
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