Gepeinigt
bröckeligen Beton um den Ring, an dem ihre Kette hing. Sie kratzte und kratzte. Es kam ihr wie Stunden vor. Immer wieder zerrte sie mit den FüÃen an der Kette, um den Druck zu erhöhen. »Bitte«, bettelte sie, »lieber Gott, bitte.« Sie grub und kratzte. Spürte, wie der Ring sich ein wenig lockerte. Ihr
Herz hämmerte ein hoffnungsvolles Stakkato. Sie schaute auf. Sein Arm zuckte. Die Hoffnung wich neu aufkeimender Panik. Hektisch machte sie weiter. Der Ring löste sich. Ein letzter Ruck und sie war frei. Schluchzend sprang sie auf. Fädelte die Kette aus dem Ring. Taumelte zur Tür und riss sie auf. Sie warf einen letzten Blick zurück.
Ein Auge sprang auf, heftete sich funkelnd auf sie. Wie ein Fischauge.
Mary rannte.
Unsere Natur ist insofern gleichermaÃen wundervoll und gnädig angelegt, als der Leidende den Schmerz nicht in dem Moment spürt, in dem er ihn erdulden muss, sondern erst später, wenn er mit der Erinnerung ringt.
Nathaniel Hawthorne
Â
Â
Â
⦠menschliche Wärme kann nur jener wahrhaft erfahren, der weiÃ, was Kälte ist. Denn nichts auf der Welt existiert allein für sich. Alles braucht sein Gegenteil.
Herman Melville
Spencer
Jemand hämmerte an die Tür. Der Lärm riss den siebenunddreiÃigjährigen Spencer Gray aus einem komatösen Schlaf. Er rollte sich grunzend auf den Rücken, starrte sekundenlang ins Leere und richtete den Blick dann auf den Wecker auf seinem Nachttisch. Streckte den Arm danach aus und kniff die Augen zusammen. Die Leuchtziffern waren im grellen Tageslicht nur schwer zu erkennen. 13:32 Uhr.
Die Puzzleteile fügten sich zusammen: trockener Mund, verklebte Lider, ein scheuÃliches Pochen hinter der Stirn. Er hatte einen gewaltigen Kater. Obwohl es bereits Nachmittag war, hatte Spencer noch einiges an Schlaf nachzuholen, um auf sein Pensum von sieben Stunden zu kommen. Letzte Nacht hatte er sich wieder einmal volllaufen lassen. In seinen besten Zeiten â damals in Los Angeles â war so etwas völlig normal gewesen. Er hatte die Nächte durchgefeiert und die Tage verpennt. Das war im GroÃen und Ganzen auch jetzt noch so. Nur die Leute, mit denen er feierte, spielten nicht mehr in derselben Liga wie früher, und auch seine Hotelunterkünfte lieÃen mittlerweile sehr zu wünschen übrig. Aber das war nicht zu ändern. Zwei Fahrstunden von jeder gröÃeren australischen Stadt entfernt, und der Standard der Hotels sackte auf ein untragbares Niveau ab.
Spencer schaute sich abwesend um. Es dauerte eine Weile, bis er einigermaÃen klar sehen konnte. Trotz der zugezogenen
Vorhänge konnte er erkennen, dass das Schlafzimmer ein einziger Saustall war. Sein Blick fiel auf seinen Laptop, dessen Bildschirm grell flimmerte. Dieses Ding kostete ihn ein Vermögen. Er hatte es nur geleast, weil sein Studio darauf bestand. Der Sound sollte ihren Standards entsprechen. Der Bildschirmschoner â eine Porträtaufnahme von ihm, die schon ein paar Jährchen alt war â verbarg die Seite, auf der er zuletzt gewesen war. Das Bild waberte vor seinen rot geränderten Augen, schien sich zu verzerren, ihn zu verhöhnen. Was hatte er zuletzt am Computer gemacht? Vage Erinnerungen an frühmorgendliches Herumgefummle kämpften sich mühsam in seinem hämmernden Schädel an die Oberfläche. Ein Blick aufs Bett bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen.
Da lag eine Frau. Eine Frau, die er nicht kennen wollte. In seinen goldenen Zeiten waren ihm nur die schönsten und sinnlichsten Starlets ins Bett gekommen, Frauen, die, wie er im Rückblick feststellte, als Ehefrauen niemals infrage gekommen wären.
Vielleicht hatte er deshalb nie geheiratet. Nie die Richtige gefunden.
Und diese hier war weiter denn je davon entfernt, die Richtige zu sein.
Er setzte sich ächzend auf und schwang die Beine aus dem viel zu weichen, durchhängenden Bett. Sein Schädel hämmerte protestierend. Dies war die fünfte Nacht, die er durchgesoffen hatte, und er war kein Teenager mehr. Er hatte gar nicht vorgehabt, noch mal einen draufzumachen, aber Jason, sein derzeitiger Gitarrist, hatte ihn innerhalb von wenigen Minuten von den Vorteilen der Happy Hour überzeugt. Und um das Maà vollzumachen, hatte sich der Idiot ziemlich schnell an eine Braut herangemacht und
war verschwunden, und er, Spencer, war allein dagestanden.
Wieder dieses Hämmern an der
Weitere Kostenlose Bücher