Gequält
saß vor Anders’ Wohnung auf der Treppe. Als ihr Sohn aus dem Fahrstuhl trat, erhob sie sich.
»Hallo, mein Junge.«
Sie umarmten sich. Anders sah sie an.
»Was machst du hier?«
»Ich warte auf dich. Ich muss mit dir reden.«
»Okay«, sagte Anders und legte den Kopf in den Nacken. »Das klingt ernst.«
»Keine Sorge.«
Seine Mutter lächelte wenig überzeugend. Anders zog das Schlüsselbund aus der Hosentasche und schloss auf. Er zog die Schuhe aus und hängte seine Jacke auf.
»Ich weiß nicht, ob ich dir was anbieten kann«, sagte er und ging in die Küche.
»Kein Problem.«
»Kaffee?«
»Gerne«, sagte Åsa, »wenn du auch einen trinkst.«
Anders spülte die Kanne aus, füllte Wasser ein, nahm einen Papierfilter aus dem Schrank und füllte ihn mit Kaffee. Åsa sah sich in der Wohnung um.
»Schön ist es hier«, sagte sie. »Und so aufgeräumt.«
»Danke.«
»Du warst schon immer ordentlich. Selbst als du klein warst, mussten wir dich nie ermahnen.«
Anders schaltete die Kaffeemaschine ein, die sofort zu gurgeln begann.
»Wo ist Papa?«
»Zu Hause.«
»Ist was passiert?«
»Anders, du weißt, dass Papa und ich stolz auf dich sind.«
»Aha, jetzt kommt’s! Geht es um einen meiner Texte? Ich muss meine Meinung sagen dürfen. Das ist mein Stil, ich kann nicht anders.«
»Natürlich sollst du dich ausdrücken, wie es dir gefällt. Da bin ich ganz deiner Meinung, das weißt du. Und Papa auch, jedenfalls grundsätzlich. Er nörgelt nicht um des Nörgelns willen. Aber dieses Mal liegen die Dinge anders, und das hat nichts mit dir zu tun.«
Anders wandte sich ab und atmete angestrengt. Åsa nahm auf einem der Küchenstühle Platz und sah ihn an.
»Inhaltlich kann ich dir nur beipflichten«, sagte sie. »Kent Svensson besaß keine guten Eigenschaften. Ehrlich gesagt war er wohl das unangenehmste Kind, dem ich je begegnet bin. Ich weiß nicht, inwieweit du dich daran erinnerst, aber für Papa und mich ist alles immer noch sehr präsent. Dir vom Fenster aus nachzusehen, wenn du in die Schule gingst, und nicht zu wissen, was dich dort erwartete, was du wieder würdest ertragen müssen. Du wirst das besser verstehen, wenn du selber einmal Kinder hast.«
Anders sah sie an.
»Hat Papa dich geschickt?«
Åsa sah ihn mit glänzenden Augen an.
»Wir wollen nur dein Bestes.«
39
Oberarzt Bäckelin saß auf der Stuhlkante, den Unterarm auf einen kleinen Schreibtisch gestützt, in einem fensterlosen Büro. Das Regal war randvoll mit medizinischen Nachschlagewerken, Berichten und Papierstapeln. Es gab einen Computer und ein altmodisches Tonbandgerät. Bäckelin betrachtete die beiden Beamten in Zivil, die soeben ihr Anliegen vorgebracht hatten.
»Nein, in dem Fall gibt es eigentlich keinen Grund, weshalb ich mich auf die Schweigepflicht berufen sollte«, sagte er und fuhr mit dem Zeigefinger über den Schreibtisch. »Conny Bladh wurde vor gut zwei Monaten an mich überwiesen. Er fühlte sich abgespannt und hatte Kopfschmerzen. Seine Blutwerte waren katastrophal, und die Untersuchung ergab einen Tumor in der Bauchspeicheldrüse, der bereits in die Aorta, die Leber und die Nieren metastasiert war. Es war nichts mehr zu machen.«
»Er bekam also ein Datum?«
»Gewissermaßen.«
»Und wie viel Zeit bleibt ihm noch?«
»Interessant, damit liegen mir immer alle in den Ohren. Ich habe Conny erklärt, dass man das nie mit Sicherheit wissen kann, weil es Ausnahmen gibt. Grob geschätzt habe ich ihm maximal ein halbes Jahr gegeben. Und das war wie gesagt vor zwei Monaten.«
»Und es gibt keine Therapie?«, fragte Karlsson.
Bäckelin faltete die Hände und drehte Däumchen.
»In solchen extremen Fällen geht es nur noch um Palliativpflege, also um Schmerzlinderung.«
»Wie hat er reagiert?«, wollte Gerdin wissen.
»Beherrscht. Die wenigsten Patienten können diese Art von Information unmittelbar verarbeiten. Einige nicken nur interessiert, als würde man ihnen eine spannende Geschichte erzählen, andere brechen zusammen. Conny Bladh war gesammelt. Er wollte wissen, wie viele gute Tage ihm noch vergönnt sein würden. Diese Frage konnte ich natürlich genauso wenig beantworten, aber er machte deutlich, dass er keinen Wert auf eine Chemotherapie lege. Er schien sich recht gut auszukennen, und ich fragte ihn, wie das käme. Er erzählte, sein Vater sei an Darmkrebs gestorben, als er ein Teenager gewesen sei.«
Bäckelin schlug sich auf die Knie und sah die Beamten interessiert an.
»Die Tote in Bjuv,
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