Gequält
definitiv der Grenze des Unzumutbaren.
»Okay, folgendermaßen.« Karlsson dachte laut und das nicht zum ersten Mal. »Henk und Conny arbeiten für die Dänin. Irgendwie geraten sie aneinander. Conny hat was von dreihunderttausend gefaselt, die doch nicht der Rede wert wären. Wir gehen also davon aus, dass Conny Henk um diese Summe erleichtert hat und mit dem Geld nach Frankreich gefahren ist, um dort zu sterben.«
»Aber das Geld gehört Sara Vallgren, und die beschuldigt Henk«, meinte Gerdin und unterdrückte verstohlen ein Gähnen.
Er begriff nicht, warum alles noch einmal wiederholt werden musste.
»Und deswegen hat Henk sich das Leben genommen?«, fragte Karlsson. »Weil er sauer war und ihn sein Freund enttäuscht hat?«
»Das war ja wohl kaum Selbstmord«, meinte Gerdin. »Falls er nicht zu dem Rastplatz geflogen ist und aus unerfindlichen Gründen die Fingerabdrücke von der Patrone beseitigt hat, ehe er sie ins Magazin schob und sich selbst in den Mund schoss. Nachdem er sein Handy weggeworfen hat.«
»An seiner Hand waren Schmauchspuren.«
»Er wurde gezwungen.«
»Du meinst, dass jemand neben ihm stand und ihm Anweisungen gab?«, fragte Karlsson skeptisch. »Erschieß dich, sonst mache ich das?«
Gerdin zuckte mit den Achseln.
»Hast du eine bessere Theorie?«
»Nein«, sagte Karlsson. »Ich frage mich nur, wie man jemanden dazu bringt, sich das Leben zu nehmen. Wenn Henk mit geladener Waffe in der Hand dasteht, könnte er sie doch auch gegen seine Angreifer richten. Ich begreife das nicht. Aber egal. Gehen wir einmal davon aus, dass du recht hast. Conny klaut das Geld, und die Dänin gibt Henk die Schuld und tötet ihn.«
Karlsson malte ein Kreuz hinter Henks Namen, malte einen weiteren Kreis um das Wort Dänin und fuhr dann fort:
»Anschließend nimmt Sara Vallgren Connys Verfolgung auf.«
Karlsson zeichnete eine Linie.
»Sara fährt zu der Freundin in Bjuv … «
Noch eine Linie.
»… die, als sie nicht preisgeben will, wo Conny ist, ebenfalls ihr Leben lassen muss. Warum? Damit wir Conny für die Dänin aufspüren.«
Karlsson drückte die Kappe auf den Filzstift, und Gerdin seufzte erleichtert. Verfrüht, wie sich zeigte. Karlsson zog die Verschlusskappe erneut ab, malte einen Rahmen um die Dänin und schrieb sicherheitshalber noch den Namen Sara Vallgren darüber.
»So muss es sich zugetragen haben«, schloss er. »Anders kann es nicht gewesen sein.«
Er klopfte mit dem Stift auf die Tafel, um seine Schlussfolgerung zu unterstreichen.
»Und um das zu beweisen, müssen wir Conny ausfindig machen«, sagte Gerdin.
»Genau.«
»Und der versteckt sich in Frankreich.«
»Vielleicht«, meinte Karlsson. »Oder glaubst du, dass er seine Reise fortgesetzt hat?«
»Ich glaube gar nichts. Ich versuche nur, mich in seine Situation hineinzuversetzen. Er klaut Henks Geld, lässt ihn an einer Raststätte zurück und fährt nach Süden. Dort liest er, dass seine Freundin tot ist. Er geht davon aus, dass Henk der Täter ist, und ruft uns an. Als er erfährt, dass auch Henk tot ist, legt er auf.«
»Und?«
»Ich versuche mir vorzustellen, was ich in seiner Situation tun würde. Wenn ich sterbenskrank wäre und erfahren würde, dass meine Freundin und mein Partner wegen eines Diebstahls, den ich begangen habe, ermordet worden sind.«
»Ja?«
»Ich glaube, ich würde das Gesetz in die eigene Hand nehmen«, meinte Gerdin.
42
Janina war siebenundzwanzig, kam aus Litauen und arbeitete seit anderthalb Jahren für Sara. Sie war nicht neu in dem Gewerbe und nicht unter falschen Vorspiegelungen hergelockt worden, jedenfalls nicht von Sara, und besaß relativ viel Erfahrung. Deswegen war ihr Ausbruch am Vorabend umso unerklärlicher. Der Tumult hatte zur Folge, dass Matte den betreffenden Freier am Ende rauswerfen musste, und solche Szenen waren nie gut fürs Geschäft.
»He from Russia. Call me bad things.«
»Meinetwegen, aber du wirst nicht dafür bezahlt, dass … «
»He bad man.«
»Hör mal, lern endlich Dänisch.«
Die Gegensprechanlage unterbrach sie. Sara hob die Hand und drückte auf die Lautsprechertaste.
»Du hast Besuch«, sagte ihr Sekretär. »Die beiden schwedischen Polizisten.«
»Schon wieder? Bitte sie zu warten.«
Sie legte auf. Kling und Klang. Was wollten die jetzt schon wieder? Sie wandte sich wieder an Janina.
»I don’t like Russians«, sagte diese und zog einen Flunsch wie ein genervter Teenager.
»Und ich mag keine Nutten mit Vorurteilen. Von jetzt an
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