Gequält
kümmerst du dich persönlich um jeden Russen, der zur Tür reinkommt, und zwar mit einem dankbaren Lächeln.«
»No.«
»Schon lustig, du verstehst genau, was ich sage, und trotzdem sprichst du nur einsilbig Englisch. Entweder tust du, was ich dir sage, oder du fängst im Hotel gegenüber an … «
Die Tür wurde aufgerissen, und Karlsson stiefelte herein, dicht gefolgt von Gerdin. Hinter ihnen tauchte Saras besorgter Sekretär auf, dem es nicht gelungen war, die beiden aufzuhalten. Sara hob die Hand und bedeutete ihm, das sei schon okay. Karlsson sah die junge Frau an und wandte sich dann an Sara.
»Stören wir bei einer wichtigen Besprechung?«
»Kein Problem. Janina wollte ohnehin gerade gehen.«
Sie nickte in Richtung Tür. Janina stürmte aus dem Raum und knallte die Tür hinter sich zu.
»Probleme?«, fragte Karlsson munter.
»Nur eine Nutte mit Vorlieben«, antwortete Sara gleichgültig. »Und? Was wollen die schwedischen Ordnungshüter dieses Mal?«
43
Der Fernseher lief. Anders Malmberg musste das Angebot des Abends rezensieren. Seine Ansichten würden am nächsten Tag in der Zeitung nachzulesen sein.
Es lief eine Literatursendung, in der ernste Leute ohne jede Selbstkritik eine Plattitüde nach der anderen von sich gaben. Der Moderator war unsympathisch selbstgefällig. Anders schaute zerstreut auf den Bildschirm und war in Gedanken ganz woanders.
Anders hatte seine Mutter noch nie so um Fassung ringend, so außer sich erlebt. Dieses lästige Gerede über den Unterschied, einen Gedanken zu denken und ihn auch auszusprechen. Darüber, sich der eigenen Privilegien bewusst zu sein und nicht auf wehrlosen Menschen ohne Stimme herumzutrampeln.
Anders wollte gerne wissen, warum sein Text über den Quälgeist von früher solche Gefühlsstürme in ihr auslöste, worauf seine Mutter sagte, sie habe Kent Svensson so intensiv gehasst, dass sie seinen Tod gewünscht habe. Nachdem sich ihr Wunsch erfüllt hatte, war sie von schweren Schuldgefühlen heimgesucht worden, als habe sie sich mit ihren Gedanken irgendwie mitschuldig an seinem Tod gemacht. Ein paar Monate nach dem Unfall sei sie Kents Mutter im Supermarkt begegnet, was sie derart aus der Bahn geworfen habe, dass sie den vollen Einkaufswagen einfach stehen gelassen habe und aus dem Laden gerannt sei.
Aber warum?
»Das hättest du sein können. Er war ein Kind. Ein schrecklicher Balg, ja, aber ein Kind. Er muss auch eine andere Seite gehabt haben, eine, die wir nicht gesehen haben. Gleichzeitig war ich richtig froh, dass er weg war. Es wurde anders ohne ihn, besser.«
Seine Mutter erinnerte ihn an die Schuhe. Er hatte den Vorfall verdrängt, und ihm wurde fast übel, als die Erinnerung daran zurückkehrte. Die Schuhe, die sein Vater für teures Geld gekauft hatte und über die er so glücklich gewesen war. Er hatte sie den ganzen Abend getragen und konnte sich gar nicht daran sattsehen. Gekaufter Status sei besser als überhaupt keiner, hatte sein Vater gemeint. Eine Pause hatte er sich in der Schule an ihnen erfreuen können. Nach der nächsten Unterrichtsstunde hatte er sie mit Scheiße eingeschmiert vor der Klassentür gefunden.
»Wir waren beim Rektor, erinnerst du dich? Er hat es runtergespielt. Niemand hat sich gekümmert.«
»Dann ist mein Text doch nicht so verwunderlich?«
»Verwunderlich nicht, aber unangebracht. Unangebracht und unwürdig. Du hast mehr Format.«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Doch, das musst du einfach haben.«
Åsa erzählte von ihrer Begegnung mit Calle Collin, dem Journalisten, der den Artikel über Kent geschrieben hatte. Er sei eng mit Jörgen Petersson befreundet, ihrem Nachbarn auf der Insel. Der Journalist sei sympathisch. Er habe Anders’ Texte gelobt.
»Okay, okay. Und was soll ich jetzt tun? Ein Dementi schreiben und um Entschuldigung bitten? Kents Mutter anrufen? Oder diesen Journalisten von der Illustrierten?«
»Um Gottes willen. Gar nichts sollst du machen. Du sollst dir nur der Konsequenzen bewusst sein.«
»Was sagt Papa?«
Åsa antwortete nicht.
»Er hat dich doch wohl hergeschickt?«
Åsa holte tief Luft und nickte dann.
»Wir finden beide, dass du zu weit gegangen bist.«
»Der Text wurde gelobt.«
»Von Außenstehenden, ja. Er ist gut geschrieben, sehr privat, und es steckt Herzblut darin. Du kannst was. Du bist wirklich talentiert. Ich sage einfach nur, dass es unpassend, wenn nicht gar gefährlich ist. Du musst an dich denken. Die Leute, die dir jetzt auf die Schulter klopfen,
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