Geraeuschkiller - Mutige Liebe
bis hinunter zu seiner Stirn. Er rüttelte roher an Claras
Schulter.
Es blieb
ihr nicht anderes übrig, sie musste so tun, als würde sie aufwachen. Sie rieb
sich den Schlaf aus den Augen und sah ihn voll an. Zum ersten Mal. In ihren
Schläfen hämmerte das Blut. Er war dicht vor ihr. Stechend blaue Augen, die sie
mit wildem Misstrauen und Neugier beobachteten.
Er
stand flink auf. Ein klobiger Mann mit kurzem Hals auf gewaltigen fleischigen
Schultern, ein massiger Oberkörper auf mageren kurzen Beine. Er trug eine
Motorradkluft aus schwarzem Leder, das überall abgewetzt war.
Auch
seine Bewegungen haben etwas von einem Raben, dachte Clara, als er ans Fußende
ihres Bettes stakste. Und doch lag in seinen Bewegungen die Spannkraft eines
Sportbogens.
Jetzt sah
sie auch die Pantherpranke aus schwarzem Eisen an seinem rechten Knie, die ihn
daran hinderte, das Bein abzubiegen.
»Was hast
du in der Kapelle getrieben?«, fragte er.
Clara sah
auf ihre Füße und überlegte fieberhaft. »Ich … wollte die schwarzen Smaraggs
sehen.«
»Blödsinn –
spionieren wolltest du.«
»Ich … ich
wollte nur wissen, wie sie klingen.« Und sie fügte hastig hinzu: »Weil ich die
Geräusche nachmachen wollte.«
Damit ihr
der Kerl auch glaubte, begann sie zaghaft das Pochen des Herzens nachzuahmen,
dann zwitscherte sie wie eine Schwalbe und flüsterte wie der Sommerwind.
Ohrthor
blieb reglos stehen und lauschte.
Mit jedem
Ton nahm Claras Mut zu. Ohrthor beobachtete das Mädchen verdutzt, das da auf
dem erdbeerroten Bett lag und quakte wie ein Frosch, fiepte wie ein Welpe,
miaute wie ein Kätzchen, krähte wie ein Hahn.
»Woher
kannst du das?«, fragte er nach einer Weile.
»Weiß nicht
… Ich will mal Geräuschakrobatin werden!«, sagte sie und zirpte wie die Grillen
in der Sommerwiese, trillerte wie die Lerchen über dem Feld.
Ohrthors
Kopf kam näher und näher. Clara kniff die Augen fest zu, gurrte wie ein
Täubchen, knisterte wie das Feuer im Ofen, summte zart wie ein Marienkäfer,
lockte wie ein Harfe.
Sein Atem,
der nach Veilchenpastillen roch, stieg ihr in die Nase, seine langen
Haarsträhnen kitzelten ihre Wange. Ekel stieg in ihr auf. Er hatte die Augen
geschlossen und den Kopf etwas schief gelegt, als wollte er mit seinem Ohr
ihrem Mund ganz nah sein.
Nur eine
Handbreit vor ihren Augen sah sie es jetzt: Dort, wo bei anderen Menschen die
Ohrmuscheln saßen – hatte er nur ein Loch! Doch das Innere dieses Hörlochs war
äußerst feinhäutig und von zartestem Rosa. Augenscheinlich pflegte er es
sorgfältig, denn es duftete nach Ringelblumensalbe! Um das Loch herum wölbte
sich ein fingerdicker bläulich roter Hautwulst.
»Wenn sie
dich treten und auslachen – bloß, weil du anders bist als sie«, hatte er zu
Dragu in der Nacht gesagt, als sie hinter der verschlossenen Tür lauschte.
Seine Stimme hatte sich überschlagen dabei.
Sie verabscheute
diesen Mann zutiefst und fühlte doch so etwas wie Mitleid. Das verwirrte sie.
Aber ihre Angst ließ ein wenig nach, und sie breitete einen wunderbaren
Klangteppich vor ihm aus. Sie summte und zirpte, gluckste sachte wie ein
Wiesenrain, flüsterte wie der Wind in den Baumkronen.
Das
Misstrauen in Ohrthors Gesicht wich mehr und mehr einem Staunen. Ganz weich
wurde seine Miene. Die kostbaren Geräuschgirlanden, die ihm von dem duftenden
Mädchen entgegenkamen, bezauberten ihn. Fast sank sein Kopf auf Claras Brust.
Da spürte er eine sanfte Berührung an seinem Ohr. Als hätte ihn eine
Giftschlange gebissen, wich er zurück. Ein Röcheln drang aus seiner Brust.
Das Mädchen
hatte sein Ohr berührt, ganz zart berührt! Er sprang auf, hielt beide Hände
über seine Ohrwülste und schaute Clara verstört an. Dann drehte er sich mit
einem Ruck um und verließ fluchtartig das Zimmer.
Die Tür knallte hinter
ihm zu, und der Schlüssel drehte sich im Schloss.
Die Stimme
Nutze die
Gunst der Stunde! Mach das Geschäft deines Lebens, dachte Miguel Masón. Die
Alleinrechte für Claras Geräuschshow hatte er sich schon gesichert. Aber wenn
das Mädchen verschwunden blieb?
Er musste
unbedingt eine Talkshow in der »neuen Sprache« entwickeln. Eine smarte
Umschreibung für das Stammeln hatte er schon gefunden: »Modern Speak«. Die
Werbekampagnen und die Vorbereitungen für die »Modern-Speak-Show« würden bald
auf Hochtouren laufen. Er würde wieder der Erste, der Schnellste sein.
Miguel
posierte vor dem wandgroßen Spiegel im Wohnzimmer, er studierte die »neue
Sprache«
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