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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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versucht, kohärente Prinzipien der persönlichen und politischen Moral zur Regulierung sozialer
247 und wirtschaftlicher Interaktionen zu entwickeln. Den Crits ging es darum, die der Rechtlehre inhärenten Widersprüche aufzudecken, die auf den Einfluß mächtiger Gruppen zurückzuführen sind, die ihre eigenen Interessen verfolgen, und nicht auf moralische und politische Prinzipien. Diese erklärende Interpretation besagt, daß eine bestimmte Darstellung der Entstehung von Recht Relevanz für die Gegenwart hat. Es gibt keinen Grund, warum die Vertreter einer solchen Theorie sie als Alternative zu der konventionellen kollaborativen Interpretation sehen sollten, die darauf abzielt, die Gesetze zu verbessern, indem ein höherer Grad an Integrität und Prinzipientreue angestrebt wird, obwohl die kausale Herkunft des Rechts durchaus der Analyse der Crits entsprechen kann. Vielmehr könnte man die beiden Unterfangen durchaus als sich gegenseitig ergänzend verstehen, nämlich als Elemente eines gemeinsamen Versuchs, das Recht zu verbessern, indem man zum einen die Ursprünge der Rechtsdoktrin entmystifiziert und sie zum anderen durch vernunftgeleitete Interpretation an einem besseren Zweck ausrichtet. Zwischen dem Versuch, die tatsächliche Gesetzgebung auf persönliche Gier zurückzuführen, und dem Bestreben, die vorhandenen Gesetze so auszulegen, daß diese Gier blockiert wird, besteht kein Konflikt, denn wer ersteres leugnet, sieht die Welt durch eine rosarote Brille, sich aber um letzteres zu bemühen, setzt keine naive Weltsicht voraus.
    Die Kritische Rechtslehre verstand sich aber sehr ausdrücklich als Alternative zu dem, was von ihr als »liberaler Legalismus« bezeichnet wurde. Es könnte sein, daß in diesem Selbstverständnis eine recht unreflektierte Verwechslung von Interpretation und Erklärung zum Ausdruck kommt, wie ich an anderer Stelle etwas wenig wohlwollend behauptet habe.
35 Aber die antagonistische Haltung dieser Wissenschaftler könnte auch Ausdruck eines profunderen Urteils darüber gewesen sein, welcher Verantwortung man im Rahmen der akademischen Rechtswissenschaft gerecht werden sollte. Wenn das angemessene Ziel
248 einer entmystifizierenden erklärenden Interpretation darin besteht, Meinungen und Praktiken zu ändern, dann läßt sich das vielleicht am besten mit einem kollaborativen Habitus erreichen. Man könnte versuchen, die Praxis, die man ändern will, so schlecht wie möglich darzustellen, aber so tun, als handle es sich hierbei um die bestmögliche Darstellung, und jeden Versuch, eine bessere Deutung vorzuschlagen, ablehnen. Wenn man so vorgeht, ist die Kritische Rechtslehre tatsächlich ein Feind des liberalen Legalismus.
    Interpretativer Skeptizismus
    In all diesen Beispielen hat sich gezeigt, daß hinter dem Anschein von Unabhängigkeit oder Komplementarität ein echter Widerspruch versteckt war. Den umgekehrten Fall, daß zwei zunächst als konkurrierend erscheinende Interpretationen in Wirklichkeit ergänzend oder unabhängig sind, finden wir oft beruhigender, weil dies uns dabei hilft, den unwiderstehlichen Eindruck, daß es die eine wahre Interpretation gibt, mit der Tatsache zu versöhnen, daß wir für unsere kontroversen Urteile nur ungern Wahrheit beanspruchen. Wahr ist dieser Sichtweise zufolge nur, daß es nicht die eine Wahrheit gibt und daß es zum Beispiel charakteristisch für große Kunst ist, viele vollkommen unterschiedliche Lesarten zu ermöglichen; wir könnten hier die etwas abgedroschene Metapher eines Diamanten mit vielen Facetten anführen. Diese Strategie ist aber nur in sehr wenigen Fällen erfolgreich.
    Man kann den Versuch, Widersprüche möglichst zu leugnen, als Relativismus bezeichnen – dem Relativismus zufolge sind die Maßstäbe, die wir anlegen, um eine Interpretation zu bewerten, immer auf eine konkrete Interpretationsschule oder -gemeinschaft bezogen. Wenn dem so ist, stellen sich viele Konflikte zwischen Interpretationen als illusorisch heraus, weil diese nicht mit denselben Maßstäben gemessen werden müssen.
249 Der Kritiker und Feuilletonist Stanley Fish verteidigt diese Sichtweise in immer neuen Formulierungen. An einer Stelle vertritt er die Auffassung, daß bestimmte wichtige Aspekte eines Gedichts nur temporal gewürdigt werden können, indem die Leser eine bestimmte Reaktionssequenz durchlaufen, wobei einige Reaktionen im Prozeß des Lesens neutralisiert oder verändert werden: »Im Fall der drei Sonette von Milton hängt

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