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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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dementsprechend das, was wirklich geschieht, von einem Moment des Zögerns oder des syntaktischen Gleitens ab. […] Eine formalistische Analyse bringt diesen Aspekt zum Verschwinden, indem sie ihn entweder ausglättet, zur (unbewältigbaren) Crux macht oder durch den Einsatz eines Verfahrens beseitigt, das nicht dazu geeignet ist, temporale Phänomene als wertvoll zu erkennen.«
36 Diese Beschreibung setzt keinen Skeptizismus voraus, denn Fish bemängelt ja gerade, daß eine Analyse unmöglich den objektiven Wert der Sonette einfangen kann, wenn sie die Wirkung jener »temporalen Phänomene« wie etwa des »syntaktischen Gleitens« nicht berücksichtigt.
    All das nimmt Fish aber noch im selben (publizierten) Aufsatz im Rahmen eines von ihm als »selbstverzehrend« bezeichneten Sprechakts zurück: »Ich muß die Behauptungen, die im ersten Teil diese Aufsatzes implizit aufgestellt worden sind, wieder zurücknehmen. Dort habe ich die These vertreten, daß das, was wirklich geschieht, aufgrund eines unpassenden (weil räumlichen) Modells nicht zum Ausdruck kommt, aber meinen eigenen Prinzipien zufolge handelt es sich bei der Vorstellung, daß irgend etwas ›wirklich geschieht‹ nur um eine weitere Interpretation«. Diese Zurücknahme ist natürlich selbst auch eine weitere Interpretation, und es ist keineswegs klar, warum sie besser oder schlechter ist als die zu Beginn des Aufsatzes vertretene. Fishs Aussage, daß ein Gedicht durch den Akt des Lesens erst geschaffen wird und darum weder ein von einem konkreten Lesevorgang unabhängiger Text noch ein von einem konkreten Leser unabhängiger Lesevorgang existiert, hilft uns nicht weiter. Selbst wenn man diese Sichtweise attraktiv findet – und
250 man könnte sich durchaus noch andere vorstellen –, müßte man immer noch erklären, was dagegenspricht, daß ein bestimmter Lesevorgang ein besseres oder ein schlechteres Gedicht als ein anderer entstehen läßt, wodurch sich ein bestimmter Leser als besser herausstellen würde.
    An späterer Stelle scheint Fish einfach eine skeptische Antwort anzubieten. Er bezeichnet seine eigene Leseweise dort als »Fiktion« und erklärt: »Meine Fiktion ist befreiend. Sie befreit mich von der Pflicht, recht zu haben (da dieser Maßstab einfach entfällt). Es genügt, interessant zu sein (und dieser Maßstab kann ohne jede Berufung auf eine illusorische Objektivität erfüllt werden.« Diese Behauptung bezeichnet er an wieder anderer Stelle als »den unglückseligsten Satz, den ich je geschrieben habe«. Er müsse verworfen werden, da er einen »Relativismus« impliziere.
37 Direkt im Anschluß erklärt er aber, die Maßstäbe, die wir anlegen, um zu entscheiden, ob eine Interpretation richtig oder falsch ist, seien auf die »Ziele und Annahmen einer Gemeinschaft« bezogen. Aber auch bei dieser relativistischen Aussage handelt es sich um eine Interpretation, die, wenn sie wahr ist, begründet werden muß. Warum kann es nicht sein, daß die Ziele und Annahmen einer bestimmten Gemeinschaft besser sind als die einer anderen? Oder sogar die bestmöglichen? Wenn sie aber die besten sind, heißt das, sie sind nicht nur bezogen auf jene eine Gemeinschaft richtig, sondern einfach richtig, während die Ziele und Annahmen anderer Gemeinschaften falsch sind. Das hält Fish für unmöglich; er besteht auf seinem Relativismus. Um einen solchen internen Skeptizismus zu vertreten, muß er aber ein positives Argument anführen und die uns allen vertraute Beobachtung, daß es viele unterschiedliche Schulen der Interpretation gibt, scheint mir in diesem Zusammenhang wenig hilfreich. Auch der Hinweis auf das Fehlen eines archimedischen Standpunkts, von dem aus Interpretationen ohne jegliche interpretative Vorannahmen beurteilt werden können, trägt hier nichts bei, denn das würde uns nur zu den von mir im ersten Teil dieses Buches
251 widerlegten Rechtfertigungen eines externen Skeptizismus zurückführen.
    Ich gebe durchaus zu, daß es im Bereich der literarischen Interpretation überzeugende positive Argumente für den internen Skeptizismus gibt. So kann ein Kritiker etwa der Ansicht sein, daß er ein Gedicht möglichst vorteilhaft darstellt und so seiner Verantwortung am besten gerecht wird, indem er darauf besteht, es gebe nicht die eine richtige Lesart dieses Gedichts. Weiter oben habe ich bereits Leavis' Interpretation von Sailing to Byzantium erwähnt, in der sich die folgenden Ausführungen finden: »Die Seele befragt sich selbst und ihre

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